In Erwartung einer neuen Bestimmung

Text und Fotos
Joris Jehle

Das Foto-Essay vermittelt Eindrücke der Hotels von Seelisberg, spiegelt aber auch die Notwendigkeit der Revitalisierung der historischen Gemäuer wider.

Auf einer Felskante hoch über dem Rütli und dem Vierwaldstättersee baute der einheimische Hotelpionier Michael Truttmann-Borsiger zwischen 1860 und 1876 das Grandhotel Sonnenberg und danach das ihm vorgelagerte Kurhotel Kulm. Den beeindruckenden Panoramablick auf die Urner Bergwelt genossen zu Glanzzeiten Richard Wagner, Hermann Hesse und Leo Tolstoi. Die beiden Weltkriege waren dem Geschäft wenig zuträglich, die Gewinne fielen spärlich aus. 1971 wurde die Anlage nach längerem Leerstand an Maharishi Mahesh Yogi verkauft, der mit seinen Lehren schon die Beatles in einen indischen Ashram gelockt hatte. Auf Schweizer Boden wollte der Guru ein Weltzentrum der Transzendentalen Meditation aufbauen. Zwölf Jahre dauerte sein Aufenthalt, dann zog er weiter. Seitdem ist das Kurhotel fast unbewohnt, in einem Teil des Grandhotels lebt weiterhin eine kleine Gruppe Yogis. Auch ayurvedische Kuren werden in Seelisberg noch immer angeboten. Um den zunehmenden Verfall der historischen Gebäude zu stoppen, wird seit Jahrzehnten nach einem Investor gesucht. Ende 2022 sicherte sich die Halter AG das Kaufrecht für das 22 000 Quadratmeter grosse Gelände und initiierte ein Entwicklungsprojekt.

Untergestellte Rosensträucher, zusammengerollte Teppiche – das Grandhotel Sonnenberg leert sich zusehends, wird aber immer noch in Teilen bewohnt und unterhalten.
Direkt über dem Rütli weht vor der Terrasse des Grandhotels weiterhin die Fahne der «Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung», die Maharishi Mahesh Yogi gegründet hatte.
Der französische Architekt Horace Edouard Davinet entwarf das «Sonnenberg» zur Zeit der Belle Époque als erstes Schweizer Hotel mit Dachkuppel über einem zentralen Turm.
Die Blumenverzierungen der Aussenbeleuchtung verweisen auf die Zeit des Jugendstils. Der gusseiserne Leuchter wird wie viele andere Details nur notdürftig instand gehalten.
Der oktogonale Saal unter der Kuppel des Grandhotels war einmal eine Hauskapelle. Von hier aus hat man einen weiten Panoramablick auf den Vierwaldstättersee und die Berge.
Bereits seit Jahren werden im Kurhotel Kulm ausgediente Möbel gelagert. Der Zustand des Gebäudes scheint prekär, die Aussicht hingegen ist ohne Verfallsdatum.
Die goldene Tapete mag zwar an die Blütezeit des Grandhotels erinnern, sie geht jedoch auf die Zeit der Yogis zurück.
Der einstige Speisesaal des Grandhotels Sonnenberg – seinerzeit der grösste dieses Typs – wurde zum «Parlament» und Tagungszentrum des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi umgebaut.
Eine liebliche Tapete aus der Zeit des Hotelbetriebs lässt den einstigen Charme des Ensembles in Seelisberg erahnen.
In der ehemaligen Hauskapelle wird die Geschichte des Grandhotels offenbar: Neben einem christlichen Wandbild finden sich eine durch die Yogis angebrachte Vergoldung sowie Spuren einer nachträglichen Elektroinstallation.
Obwohl das Kurhotel seit Jahren leer steht, erinnern vereinzelte Möbel, Vorhänge oder ein vergessener Schal an seine frühere Lebendigkeit.
Fast 150 Jahre ist das Grandhotel Sonnenberg nun alt. An Stolz und Eleganz hat es nichts eingebüsst.
Der Mittelbau des Kurhotels wurde im Jahr 1866 fertiggestellt, die beiden Seitenflügel 1902. Seine Balkone sind fast den ganzen Tag besonnt.

Joris Jehle

ist selbständiger Berater, Autor und Fotograf. Er schreibt und fotografiert regelmässig für Komplex, «Hochparterre» und weitere Fachzeitschriften. Die fotografische Arbeit schärft seinen Blick und damit die schriftliche Analyse. Seine Fachgebiete sind Raumplanung, Städtebau und Stadtentwicklung, vor allem hinsichtlich sozialer und ökonomischer Fragen. Nach seinem Studium der Geschichte und der Geografie war er beim Städtebaubüro KCAP und bei der Immobilienberatung Wüest Partner tätig. Zu seinen Auftraggebern gehören Gemeinden, Städtebaubüros und Entwickler.
jorisjehle.com

Mehr zum Projekt

Im Artikel Wetterzauber und Weltenwandel erfahren Sie mehr über das Projekt Seelisberg. Detaillierte Visualisierungen und Pläne veranschaulichen den Projektentwurf.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2024 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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