Wetterzauber und Weltenwandel
Die Sonnenberg-Anlage ist Zeugnis einer der glanzvollsten Momente der Schweizer Hotelgeschichte. In der Belle Époque erbaut, verlor sie in der Nachkriegszeit kontinuierlich an Glanz. Nun soll ein Entwicklungsprojekt den historischen Ort auf einer Felsenterrasse über dem Rütli wiederbeleben.
Zwischen gemächlich treibenden Nebelfetzen tauchen Berggipfel auf und verschwinden genauso langsam wieder. Um die Felsen liegt noch der alte Schnee. Auf der Achsenstrasse am anderen Ufer des Vierwaldstättersees staut sich der Verkehr. Die Wasseroberfläche zeigt sich mal grau, dann wieder tiefblau. Ein Regenschauer löst sich aus dem Nebel, treibt über den See und das Rütli Richtung Sonnenberg zu. Im Wald tief unter der Felswand heult eine Kettensäge auf. Die Aussicht von Sonnenberg ist Meditation und Unterhaltung zugleich.
Das Schauspiel des Bergwetters ist sicherlich einer der Gründe, warum 1876 an abgeschiedener Lage und direkt an einer Felskante mehrere Hundert Meter über dem Vierwaldstättersee und der Rütliwiesee in Grandhotel erbaut wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts begann der internationale Alpentourismus in der Schweiz zu blühen – die Künstler der Romantik hatten die Berge von einer Naturgefahr in einen Sehnsuchtsort verwandelt. Ein spätes Zeugnis davon ist der Schweizerpsalm, der zu grossen Teilen Wetter- und Lichtstimmungen beschreibt: das Morgenrot, das Abendglühn, den Nebelflor, das Wolkenmeer, die Gewitternacht. Das Wetter ist ein Teil derSchweizer Identität.
Belle Êpoque
Im Laufe des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Berge durch Meisterleistungen der Ingenieurskunst. Viadukte und Kehrschleifen wurden entworfen, um die Steigung der Bahngleise gleichmässig zu halten, steile Standseilbahnen wurden verlegt, Dämme aufgeschüttet und Tunnel gegraben. Zur Unterbringung der Gäste – und natürlich zum täglichen Beobachtendes Wetterspiels – entstanden Pensionen und Hotels.
Das Grandhotel Sonnenberg geht auf eine Pilgerherberge neben der Kapelle Maria Sonnenberg in der Urner Gemeinde Seelisberg zurück und wurde vom einheimischen Tourismuspionier Michael Truttmann-Borsinger gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts laufend erweitert. Zur Zeit der Belle Époque beauftragte er den französischen Architekten Horace Edouard Davinet, der fast zeitgleich die Hotels Schreiber Rigi-Kulm und Giessbach zeichnete. Erstmals bei einem Schweizer Hotelbau entwarf er für das «Sonnenberg» eine Dachkuppel über einem zentralen Turm. Als noch viel grössere Pionierleistung muss allerdings der 46 mal 15 Meter grosse stützenfreie Saal im ersten Obergeschoss des Hauptbaus gesehen werden. Für die technische Ausführung wurde eigens ein Konstruktionsexperte von der ETH Zürich engagiert.
Kriege, Krisen und Yogis
Das Hotel florierte jedoch nur bis 1914. Mit dem Ersten Weltkrieg brach der internationale Reiseverkehr ein. Wirtschaftskrisen plagten die Zwischenkriegszeit, und der Zweite Weltkrieg verhinderte den Aufschwungerneut. In der Nachkriegszeit erholte sichEuropa rasch, die Bevölkerung explodierte, und der Massentourismus nahm seinen Anfang. Die Sonnenberg-Anlage schien davon wenig zu profitieren. Die finanzielle Situation blieb angespannt.
1971 kaufte der indische Guru Maharishi Mahesh Yogi den Komplex und brachte dort sein Zentrum für Transzendentale Meditation unter. Seine«fliegenden Yogis» sorgten beim Einzug schweizweit für Aufsehen. Für Versammlungen wurde der grosse Saal des Grandhotels zum parlamentartigen, im Halbrund bestuhlten Tagungssaal umgenutzt. Der Plan, in Seelisberg einen 500 Meter hohen Turm für50 000 Leute zu bauen, blieb ein Traum. Mit dem abnehmenden Erfolg der Bewegung und dem Wegzug ihres Gründers 1983 gerieten die Hotels ins Abseits. Der Zustand der Gebäude verschlechterte sich zusehends. Schliesslich machten sich die Yogis auf die Suche nach einem Käufer.
Erwünschter Neuanfang
Nach Verhandlungen mit den Besitzern konnte ab 2022 in enger Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde Seelisberg, dem Kanton Uri und der Halter AG nach einer tragbaren Lösung zur Revitalisierung gesucht werden. In der Folge kam es zu einem Kaufrechtsvertrag, und Halter Entwicklungen erarbeitete unter der Projektleitung von Robin Neuhaus die Neuausrichtung. «Wir beauftragten den Luzerner Architekten Iwan Bühler, gemeinsam mit dem Landschaftsplaner Stefan Rotzler das neue städtebauliche, architektonische und denkmalpflegerische Konzept auszuarbeiten. Weitere Unterstützung erhielten wir vom Kunsthistoriker Dr. Eduard Müller, vom Architekturhistoriker und Denkmalpfleger Dr. Roland Flückiger-Seiler und vom Hotelberater Mark von Weissenfluh», erläutert er.
Das im Oktober 2023 vorgestellte Entwicklungskonzept sieht eine Inwertsetzung und Neuausrichtung des Ensembles vor, das aus dem Grandhotel Sonnenberg, dem Kurhotel Kulm, diversen Nebengebäuden und der Gartenanlage besteht. DieHotels sollen vollständig erhalten bleiben, während ihre An- und Nebenbauten ersetzt werden. Zwei neue Häusergruppen ergänzen den Komplex. «Insgesamt werden damit 120 Wohnungen und 130 von den Hotels betriebene Einheiten entstehen. Die zusätzlichen Flächen sollen den Ort beleben und den wirtschaftlichen Erfolg des Projekts langfristig sichern», sagt Robin Neuhaus.
Das repräsentative Äussere und die innere Struktur des Grandhotels Sonnenberg bleiben vollumfänglich erhalten. Die Empfangsräume im Erdgeschoss und die zweiläufige Treppe hinauf zum grossen stützenlosen Saal bilden den architektonischen Kern und werden entsprechend in Szene gesetzt. Seitlich und rückwärtig sollen unauffällige, dem Hauptbau untergeordnete Flügel angebaut werden. Diese nehmen Servicebereiche und Technik auf, die einzeitgemässer Hotelbetrieb benötigt.
Das Kurhotel Kulm an der Felskante wurde bereits vor Jahren wegen seines baulich schlechten Zustands aus dem Denkmalschutz entlassen. Die Projektbeteiligten haben entschieden, das Gebäude trotzdem zu erhalten, weil es für das Ensemble von grosser Bedeutung ist und eine hervorragende Fernwirkung hat. Das Mittelteil erhält ein zusätzliches Geschoss, das die beiden Ecktürme akzentuiert, was insgesamt zu einer Aufwertung führt. Im Gebäude entstehen Wohnungen und ein Restaurant mit Gartenterrasse im Erdgeschoss.
Zwischen Hotel Kulm und Felskante sind zusätzliche Untergeschosse mit Wohnungen, die vom Hotel betrieben werden, geplant. Weil sie in den Hang hineingebaut und von einem Baumvorhang verdeckt sind, verändern sie die Anmutung des historischen Ensembles kaum. Weitere Einheiten entstehen in Neubauten, die südlich und nördlich der Hotels liegen. Grosse Bäume, Felsen und die Kapelle trennen sie vom historischen Bestand. Durch die dunkle Materialisierung nehmen sich die Wohngebäude gegenüber den helleren Altbauten zurück und unterscheiden sich zusätzlich durch ihre klare architektonische Sprache und Ausformung.
Die abgeschiedene Lage von Seelisberg ist Chance und Risiko zugleich. Die Sonnenberg- Anlage muss zur attraktiven Destination werden, um die nötige Kundschaft anzuziehen. Die Diversifizierung des Angebots mit Wohnungen ist vielversprechend, zuletzt werden jedoch das Betriebskonzept und die persönliche Bewirtung den Ausschlag für den Erfolg des Projekts geben. Der Zeitpunkt scheint jedoch richtig. Die gesunde Schweizer Wirtschaft hat eine neue Klasse von Gutverdienenden geschaffen, die urban wohnt, aber an den Wochenenden gern romantischen Luxus in der Natur geniesst. Die diversen globalen Krisen schüren zusätzlich das Bedürfnis nach Sicherheit, das ein klassisches Grandhotel und das scheinbar ewige Bergpanorama bieten.
Iwan Bühler
diplomierte 1987 bei Professor Dolf Schnebli an der ETH Zürich als Architekt. 1990 gründete er sein eigenes Architekturbüro in Luzern, mit dem er eine Vielzahl an unterschiedlichsten Projekten im In- und Ausland umsetzen konnte. Seine Arbeit wird von städtebaulichen, kulturellen, soziologischen, emotionalen und technischen Fragestellungen geprägt. In den vergangenen Jahren eignete er sich insbesondere im Umgang mit denkmalgeschützter Baustubstanz einen beachtenswerten Wissensfundus an. Die gelungene Anwendung und Umsetzung dessen konnte Iwan Bühler zuletzt mit dem Umbau der historischen Grandhotels Kempinski Palace Engelberg Titlis und Mandarin Oriental Palace in Luzern unter Beweis stellen. → www.iwanbuehler.ch
Stefan Rotzler
ist Landschaftsarchitekt BSLA. Nach dem Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich absolvierte er ein Gartenbaupraktikum und schloss 1978 seine Ausbildung zum Landschaftsarchitekten an der Hochschule Rapperswil (HSR) ab. Er arbeitete für das Gartenbauamt der Stadt Zürich und gründete 1982 sein erstes eigenes Büro. Von 1992 bis 2014 war er bei Rotzler Krebs Partner Landschaftsarchitekten in Winterthur tätig. Seither übernimmt er Beratungs- und Jurymandate sowie strategische Planungen in der Deutschschweiz und im Tessin. An der Beschäftigung mit Landschaft und Freiraum faszinieren ihn die zeitliche und die soziale Komponente sowie die Tatsache, dass Landschaft immer einer Zuneigung, einer pflegenden Hand bedarf. → www.rotzler.land
Zum Foto-Essay
Das Foto-Essay In Erwartung einer neuen Bestimmung vermittelt Eindrücke der Hotels von Seelisberg, spiegelt aber auch die Notwendigkeit der Revitalisierung der historischen Gemäuer wider.