Bunte Vielfalt auf dem Land

Fotos
  • Dario Zimmerli
  • Oliver Stern

In der Luzerner Gemeinde Root haben die Stiftung Abendrot und Halter die Wohnüberbauung Wilmisberg realisiert, wo Stockwerkeigentümerinnen und -eigentümer sowie Mietende eine Gemeinschaft bilden. Sie profitieren von vielfältig nutzbaren Spezialräumen und einer Umgebungsgestaltung, die dazu anregt, die eigenen vier Wände zu verlassen und sich im Freien zu begegnen.

Die hölzernen Fassaden der Häuser präsentieren sich in sanften Blau-, Rot-, Gelbund Grüntönen.
Auf den Dächern der Siedlung Wilmisberg befindet sich eine der schweizweit grössten privaten Photovoltaikanlagen.

Die Wohnsiedlung Wilmisberg befindet sich am Ortsrand der Gemeinde Root, die an einem Hügelkamm zwischen den Ballungsräumen Cham und Luzern liegt. Wer sich hier niederlässt, schätzt die Nähe zum S-Bahnhof sowie zur Autobahn A14. Im Alltag der Bewohnenden rückt der Verkehr jedoch in den Hintergrund: Beim südlichen Siedlungszugang verschwinden die Fahrzeuge in der Tiefgarage. Wer zu Fuss ankommt, nimmt das leise Plätschern eines Bächleins wahr. Ein asphaltierter Weg führt zwischen den bunten Holzbauten hindurch, die auf der einen Seite drei-, auf der anderen fünfgeschossig in Erscheinung treten. Von einem Balkon dringt Musik ins Freie; ein Windrad zeugt von der Bise, die an einem kalten Winternachmittag weht. Kinder tummeln sich an einem Klettergerüst, während ihre Eltern vor einem der Hauseingänge einen Schwatz halten.

Die Holzverkleidungen an allen Gebäuden bilden geschosshohe Schuppen aus farbig gestrichenen Holzlatten aus. Vertikale Lärmschotten gliedern die Fassaden zusätzlich und schützen die angrenzenden Zimmer vor den Emissionen der nahe gelegenen Autobahn.
Über die ganze Länge der Siedlung zieht sich eine Gasse, die mal breiter, mal schmäler ausgeprägt ist. Der zentrale Platzraum ist mit regionalem Quarzsandstein gepflastert und erinnert an historische Ortskerne.
Sorgfältige Einbettung

Bis vor wenigen Jahren gehörte das 20 000 Quadratmeter grosse Areal am steil abfallenden Hang zur Landwirtschaftszone. Der Umzonung lag ein Gestaltungsplan zugrunde, dessen Städtebau auf den ersten Blick schematisch wirkt: Drei parallel zum Hang angeordnete Punkthäuser alternieren mit drei weiteren, die quer dazu ausgerichtet sind. Dasselbe Muster wiederholt sich in der zweiten Häuserreihe. Kein Haus steht auf derselben Flucht wie sein Nachbargebäude. Der zweihundert Meter lange Erschliessungsraum, der zwischen dem nördlichen und dem südlichen Siedlungszugang liegt, ist segmentiert und bildet verschiedene Aufenthaltsräume aus. Die zwölf Häuser mögen in ihrem Kontext zwar gross erscheinen, doch die Zwischenräume sind es auch. Ihre Gestaltung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Einbettung in die Landschaft: «Die Topografie ist so ausgebildet, dass die Umgebung als fliessender Raum wahrgenommen wird», erklärt Theo Hagen von Vetschpartner Landschaftsarchitekten. «Dazu haben wir bewusst auf Mauern verzichtet und stattdessen mit Böschungen und natürlichen Geländesicherungen gearbeitet.» Hangabwärts gleitet der Blick über die benachbarten Ein- und Mehrfamilienhäuser bis ins Reusstal. Hangaufwärts verliert er sich im Grün der angrenzenden Felder und streift die eingestreuten Bauernhöfe.

Situation: Die zwölf Punkthäuser liegen am nördlichen Ortsrand von Root an einem stark abfallenden Hang. Der S-Bahnhof Gisikon-Root und die Autobahn A14, die hier parallel zur Reuss verläuft, befinden sich in der Nähe.
Grundriss Erdgeschoss: In den Erdgeschossen sind zahlreiche Räume zur gemeinschaftlichen Nutzung angeordnet, die zum zentralen Erschliessungsraum orientiert sind. Die Zwischenräume der Gebäude wurden bewusst fliessend gestaltet.
Regelgrundriss Eigentumswohnungen: Die Einheiten, die im Stockwerkeigentum verkauft wurden, sind grosszügig gestaltet. Je nach Haus gibt es pro Stock zwei bis drei Wohnungen.
Regelgrundriss Mietwohnungen: Trotz ihrer Kompaktheit bieten die Wohnungen genug Möblierungsmöglichkeiten. Die Geschosse sind als Zwei-, Drei- oder Vierspänner konzipiert.
Ansicht West: Die obere Häuserreihe der Überbauung tritt fünfgeschossig in Erscheinung, dabei alternieren schmale Fassaden mit breiten. Eine Tiefgarage, die sich unter dem zweihundert Meter langen, zentralen Freiraum erstreckt, verbindet alle Gebäude miteinander.
Zwei Bauherrschaften, ein Erscheinungsbild

Im Frühling 2024 sind die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in die 130 Wohnungen eingezogen. Einige von ihnen als Mietende, andere als Stockwerkeigentümerinnen und -eigentümer. Denn die Überbauung wurde von Halter entwickelt und gemeinsam mit der Pensionskasse Stiftung Abendrot realisiert, wobei Halter Eigentumswohnungen für den Verkauf erstellte und die Pensionskasse ihre Wohnungen vermietet. Diese Teilung ist der Siedlung nicht anzusehen. Sämtliche Bauten zeichnen sich von aussen durch geschosshohe Schuppen aus farbig gestrichenen Holzlatten aus. Die vertikal zusammengefassten Fenster werden einseitig von einem aus der Fassade hervortretenden Element flankiert, das je nach Blickwinkel anders anmutet: Auf der einen Seite wirkt es wie eine Rahmenverbreiterung, auf der anderen greifen die Holzlatten in den Raum. «Diese Schotten schützen die angrenzenden Zimmer vor dem Lärm der Autobahn», erklärt der Architekt Domenik Prandini von Dachtler Partner. «Funktional notwendig, sind sie zu einem Gestaltungselement entwickelt worden, das die Bauten prägt.» Das Zürcher Architekturbüro konnte den von den beiden Bauträgerinnen ausgelobten Studienauftrag nicht nur aufgrund der Fassadengestaltung für sich entscheiden. Es überzeugte auch mit vielfältigen Wohnungsgrundrissen und einem Gesamtkonzept, das eng mit der Umgebungsgestaltung verknüpft ist.

Sämtliche Häuser werden über den zentralen Freiraum erschlossen, wo sie jeweils über einen gedeckten Eingangsbereich verfügen, der durch zwei massive Stützen ausgezeichnet wird. «Die Erdgeschosse enthalten zahlreiche Spezialräume, die von den Bewohnenden gemeinsam genutzt werden können», so Domenik Prandini. «Sie sind gut einsehbar und umklammern die lebendige Mitte der Siedlung.» Dazu zählen Mehrzweckräume, Waschsalons oder Gäste- und Jokerzimmer. Der angrenzende «Dorfplatz» wird durch eine Pflästerung aus regionalem Quarzsandstein akzentuiert. Im Gegensatz zu den Gemeinschaftsräumen sind die Spielgeräte im Freien dezentral angeordnet. «Die Spielelemente aus Holz sind je nach Altersklasse in Sicht- oder Rufdistanz zu den Wohnungen in den Naturraum eingebettet», sagt Theo Hagen. In der Nähe der Hauseingänge sind ein Sandkasten oder ein Brunnen zu finden, am südlichen Rand der Überbauung liegt ein Abenteuerspielplatz und eine Spielwiese, für die Erwachsenen gibt es eine frei stehende Sauna.

In den obersten Geschossen reichen die Wohnungen jeweils bis unter das leicht geneigte Dach. Die grosszügigen Balkone sind nach innen rundum verglast und stellen eine willkommene Erweiterung des offenen Wohnraums in den Aussenraum dar.
Die Badezimmer der Mietwohnungen präsentieren sich farbenfroh: schwarze Bodenplatten und rosa Fliesen an den Wänden. Ein weiss gestrichenes Fries bildet den Übergang zur Decke und lässt den Raum optisch höher erscheinen.
Gezielte Förderung der Gemeinschaft

Das vielfältige Angebot, das den Bewohnenden ausserhalb ihrer eigenen vier Wände zur Verfügung steht, erwartet man eher in einer Genossenschaftssiedlung im urbanen Kontext als in einer Wohnüberbauung im Luzerner Mittelland. Der Impuls dafür kam von der Stiftung Abendrot, die der Gemeinschaftsbildung einen hohen Stellenwert einräumt. «Für die Realisierung des Projekts Wilmisberg haben wir einen Partner gesucht, der unsere Ideen mitträgt», blickt Jasmin Winterer, verantwortliche Projektleiterin Immobilien, zurück. «Nach Abschluss des Studienauftrags hielten wir die wesentlichen Grundsätze, unter anderem die konkreten Gemeinschaftseinrichtungen und das Ziel, einen Siedlungsverein aufzubauen, in einer Entwicklungsvereinbarung fest.» Dem Siedlungsverein gehören heute sämtliche Mietende und Stockwerkeigentümerinnen und -eigentümer an. Alle Parteien entrichten einen jährlichen Betriebskostenbeitrag von einem Franken pro Quadratmeter Wohnfläche. Wer will, kann die Spezialräume mitgestalten oder kümmert sich auch um deren Betrieb. Für die Umsetzung der ersten Ideen sowie für das Coaching der Vereinsmitglieder während der Startphase stellen die beiden Bauträgerinnen ein Startkapital von insgesamt 50 000 Franken zur Verfügung. «Uns war es zudem wichtig, dass die Siedlung ein einheitliches Erscheinungsbild und eine zusammenhängende Aussenraumgestaltung hat», so Jasmin Winterer. «Um dies langfristig zu gewährleisten, ist die Umgebungsfläche im gemeinsamen Besitz der Stockwerkeigentümerinnen und -eigentümer sowie der Stiftung Abendrot.»

Ein weiteres Ziel der Pensionskasse war es, bezahlbare Mieten anzubieten. Während den bunten Häusern nicht anzusehen ist, wer darin wohnt, unterscheidet sich ihr Innenleben durchaus. Diejenigen sechs auf der südlichen Parzellenhälfte enthalten 71 Mietwohnungen mit 1,5 bis 5,5 Zimmern. «Sie sind effizient und platzsparend konzipiert, aber trotz ihrer Kompaktheit gut zu möblieren und zu bewohnen», meint der Architekt Domenik Prandini. Auf der etwas grösseren nördlichen Parzellenhälfte sind 59 deutlich grosszügigere Eigentumswohnungen mit 2,5 bis 5,5 Zimmern entstanden. Im Gegensatz zu den Mietparteien konnten die Eigentümerinnen und Eigentümer selbst über die Innenausstattung entscheiden.

Alle Häuser sind mit der Tiefgarage verbunden, die sich unter dem zentralen Freiraum erstreckt. Drei zusätzliche, offene Treppenhäuser schaffen eine direkte Verbindung zum Aussenraum und bringen Tageslicht ins Untergeschoss. Da die geböschten Zwischenräume der Überbauung nicht unterkellert sind, konnten sie mit Obstbäumen bepflanzt werden. Deren Früchte werden die Bewohnenden einst ernten – auch dies ein Akt, der zur Gemeinschaftsbildung beitragen soll.

In der lang gestreckten Tiefgarage dienen die bunt gestrichenen Betonstützen den Bewohnerinnen und Bewohnern zur Orientierung, indem sie die Farben der darüberliegenden Häuser widerspiegeln. Alle Gebäude sind direkt mit der Tiefgarage verbunden.
Auch die Treppenhäuser nehmen den Farbcode der Anlage auf: Die Betonwände wurden entsprechend dem Farbton der Aussenhaut lasiert. Die Böden sind mit Terrazzo-Fliesen belegt, das Metallgeländer hat einen Handlauf aus massivem Eichenholz.
Dachtler Partner

existiert in der heutigen Form seit 25 Jahren. Das Zürcher Architekturbüro zählt rund zwanzig Mitarbeitende und ist hauptsächlich im Wohnungsbau tätig. Sein Portfolio umfasst kleinere Umbauten und Aufstockungen genauso wie grosse Wohnsiedlungen, meist im Raum Zürich. 2024 stellte das Büro den Stockenhof in Regensdorf fertig, ein Areal mit 290 Familienwohnungen und einem Alters- und Pflegezentrum. In Spreitenbach steht derzeit die Wohn- und Gewerbeüberbauung Tivoli Garten mit zwei Hochhäusern sowie mehr als 400 Wohneinheiten kurz vor Bauabschluss.
dachtlerpartner.ch

Vetschparner Landschaftsarchitekten

wurde vor über vierzig Jahren gegründet und steht heute unter der Leitung von Jürg Zollinger, Urs Baumgartner und Andreas Klahm. Knapp zwanzig Mitarbeitende planen und realisieren Freiräume, vom privaten Refugium bis zum öffentlichen Raum. Zum Werk des Zürcher Büros zählen die Aussenräume zahlreicher Wohnsiedlungen, Gewerbe- oder Schulareale. Eine Besonderheit stellt die langjährige Zusammenarbeit mit dem Zoo Zürich dar. Zuletzt entstanden dort der Elefantenpark (2014), die Australienanlage (2018) und die Lewa-Savanne (2020). Voraussichtlich 2028 wird die neue Pantanal-Volière eröffnet.
vetschpartner.ch

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2025 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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