Wohnen auf der Waldlichtung

Visualisierungen
Tend AG

Von 1918 bis 1975 lebten am nördlichen Rand von Schaffhausen inmitten der Natur Giessereiarbeiter mit ihren Familien. Dann wurde die Siedlung abrupt abgerissen, und die Parzelle lag fünfzig Jahre lang brach. Nun entsteht hier die «Waldstadt im Pantli», ein von Dost Architektur entwickeltes Projekt mit kreuzförmiger Anlage und zentralem Platz.

Das Setting erinnert an ikonische Bauprojekte, wie die 1961 vom Architekturbüro Atelier 5 in Halen bei Bern erstellte Wohnsiedlung. Auch sie befindet sich auf einer Waldlichtung und entstand genauso wie die Siedlung im Pantli knapp fünfzig Jahre zuvor nicht nur zur Schaffung von Wohnraum, sondern auch, um ein Gemeinschaftsleben möglich zu machen. Das Pantli – so der Flurname – war zwischen 1916 und 1918 von der Eisengiesserei Georg Fischer (GF) bebaut worden, die hier eine sogenannte Arbeiter-Bauern-Siedlung errichtete. Die Mitarbeitenden des in der Nähe gelegenen Werkes sollten auf dem Areal im Norden von Schaffhausen wohnen und zugleich Ackerbau und Viehwirtschaft betreiben. Damit begegnete GF einerseits der Wohnungsnot, ermöglichte andererseits eine gewisse Selbstversorgung und hielt nicht zuletzt die Arbeiterschaft von den Verlockungen der städtischen Wirtshäuser fern. In den frühen 1970er-Jahren schien sich das Konzept jedoch überholt zu haben, die Häuser standen grösstenteils leer. Um eine Besetzung zu verhindern, wurde die gesamte Anlage am 16. Mai 1975 von der Besitzerin in nur einem Tag abgebrochen – eine Aktion, die damals schweizweit für Aufsehen sorgte. Das Land verblieb aber in der Bauzone. Es folgten verschiedene Anläufe für eine Neubebauung: In den 1980er-Jahren wurden Pläne für die Errichtung von Hochhäusern entwickelt, während man in den 1990er-Jahren die Idee einer Rehaklinik verfolgte. Dafür wurde auch ein Quartierplan erstellt, der bis heute gültig ist.

Die Giessereiarbeiter hielten auch Nutztiere, die auf den weitläufifigen Wiesen rund um die Siedlung weideten. Das machte die Familien weitgehend autonom und sicherte eine gesunde Ernährung.
Die 1918 von der Giesserei Georg Fischer erstellte Arbeiter-Bauern-Siedlung Pantli umfasste sowohl Mehr- als auch Einfamilienhäuser. Ihnen vorgelagert waren private Gärten und landwirtschaftftliche Flächen.
Zur Aufgabe der Bewohnerinnen und Bewohner gehörte es auch, im Sommer das Heu einzufahren. Es wurde als Viehfutter für den Winter in den zur Siedlung gehörenden Scheunenbauten eingelagert.

Hoffnungsvoller Neuanfang

Nach dem Scheitern der Klinikpläne ging 2009 die ORE GmbH aus Schaffhausen auf die GF Immobilien AG zu und leitete eine Landanbindung in die Wege. Basierend auf dem Quartierplan, startete Dost Architektur anschliessend mit ersten Studien für eine Wohnsiedlung. «Seither hat uns das Projekt nicht mehr losgelassen», sagt Dominic Meister, Partner bei Dost Architektur in Schaffhausen. Der erste Anlauf zur Realisierung klappte nicht, jedoch wurde weiter am Projekt festgehalten und im Jahr 2021 erneut eine Baueingabe eingereicht. So entstand die «Waldstadt im Pantli», eine in sich geschlossene Siedlung ohne direkte bauliche Verbindung zum restlichen Siedlungsraum. Grund dafür ist die immer noch spezielle Lage: Das rund zehn Fussballfelder grosse Baugrundstück befindet sich auf einer Waldlichtung am Nordrand der Stadt. «Heute wäre so etwas eigentlich gar nicht mehr möglich», erklärt Architekt Andi Loew. Auch er ist Partner bei Dost Architektur. Der Durchhaltewillen hat sich gelohnt, denn nochmals vier Jahre später wird endlich gebaut: Am 10. Januar 2025 fand der Spatenstich statt, im Sommer 2027 sollen die ersten Eigentümerinnen und Eigentümer in ihre neuen Wohnungen einziehen. Möglich wurde die Realisierung des Projekts schliesslich durch den Einstieg der Halter AG mit ihrer Tochterfirma Belvedere Neuhausen AG. «Die Einmaligkeit des Projekts an dieser Lage hat uns überzeugt, und dank dem Projekt Rhyfall Village kannten wir den Schaffhauser Immobilienmarkt gut genug, um die Machbarkeit abschätzen zu können», sagt Roman Kummer, Projektleiter bei Halter Entwicklungen. Neben der Besonderheit einer Siedlung mitten auf einer Waldlichtung bietet das Projekt für Kummer noch weitere Pluspunkte: Dazu zählen etwa ein Kindergarten, eine Kindertagesstätte und ein Gemeinschaftsraum im historischen Transformatorenhäuschen oder die Anbindung ans Busnetz und damit der Zugang zu Einkaufsmöglichkeiten sowie die Nähe zum Autobahnanschluss in Richtung Zürich und Süddeutschland. «Gerade für Leute aus dem Grossraum Zürich, die nach einer bezahlbaren Eigentumswohnung suchen, ist das Angebot sehr interessant», ergänzt Roman Kummer. So kostet etwa eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit 100 Quadratmetern Wohnfläche um die 800 000 Franken. In den ersten beiden Etappen entstehen die Gebäude auf der grossen, ganz von Wald umgebenen Hauptfläche, die rund vier Fünftel des Areals ausmacht. Ein zusätzlicher Teil befindet sich auf einer kleineren, separaten Lichtung, knapp fünfzig Meter weiter östlich. Dieser Bereich soll in einer dritten Etappe bebaut werden. Beide Siedlungsteile werden nach dem besonders strengen Nachhaltigkeitsstandard SNBS geplant und realisiert.

Unser Ziel war es, ein Umfeld zu schaffen, in dem man sich wohlfühlt und ein Gemeinschaftsleben möglich ist.
Andi Loew, Partner bei DOST Architektur
Die neue Waldstadt wird ihren Bewohnerinnen und Bewohnern schon bald ein einzigartiges Lebensgefühl bieten: mitten in der Natur, zwischen Wiesen und Bäumen und trotzdem nahe der Stadt.
Der zentrale Quartierplatz, der an der Kreuzung der beiden Erschliessungsachsen entstehen soll, bildet einen lebendigen Begegnungsort mit urbaner Atmosphäre.
Während die zu den Gassen gerichtete Seite der Häuser städtisch wirkt, befinden sich auf der Rückseite private Räume, die an Wiesland anschliessen.
Die Siedlung ist auf drei Seiten von grossen Wiesen umgeben, die natürliche Aussenräume darstellen und einen sanften Übergang zum nahen Wald schaffen.

Zweiseitige Orientierung

Das Projekt für die Waldstadt zeugt von der vertieften Auseinandersetzung mit dem Ort und dem dafür passenden Bautypus. Die Architekten studierten dazu die baulichen Strukturen kleiner Siedlungen – traditionelle lokale Dörfer ebenso wie Siedlungen im alten Griechenland oder aus römischer Zeit. Zudem glichen sie ihre Ideen mit denen anderer Fachleute ab, wie etwa des 2021 verstorbenen Stadtplaners und ehemaligen Stadtbaumeisters von Basel, Carl Fingerhuth. «Unser Ziel war es, ein Umfeld zu schaffen, in dem man sich wohlfühlt und ein Gemeinschaftsleben möglich ist», sagt Andi Loew. Die Basis der Hauptsiedlung auf der grossen Lichtung bildet ein Kreuz aus zwei autofreien Erschliessungsachsen, die von Norden nach Süden und von Osten nach Westen verlaufen. An ihrem Schnittpunkt befindet sich der Quartierplatz. Den Auftakt der Nord-Süd-Achse macht im Norden der sogenannte Ankunftsplatz als Hauptzugang zur Siedlung mit Buswendeschleife und Tiefgarageneinfahrt, am Südende liegt ein Spielplatz. An den Enden der quer verlaufenden Achse ist je ein kleiner Platz als Übergang zum Wald angeordnet. Die Gassen werden beidseitig von drei- bis fünfgeschossigen Gebäuden gesäumt, die durch Vor- und Rücksprünge, Durchgänge, grosse Balkone sowie Vorgärten abwechslungsreich gestaltet sind. Unterstützt wird dieser Eindruck durch unterschiedlich materialisierte Fassaden. «Jedes Haus hat so ein eigenes, wiedererkennbares Gesicht», sagt Architekt Dominic Meister. Der Charakter der beiden Gassen variiert: Diejenige von Norden nach Süden dient als belebte Verbindung zwischen den drei Plätzen, die schmalere Querachse erschliesst nur die Wohnhäuser und hat einen intimeren Charakter. An der Aussenseite der Gebäude erstrecken sich naturnahe Wiesen. Die Zweiseitigkeit setzt sich auch in den Grundrissen fort: Fast alle Wohnungen orientieren sich sowohl zur Gasse als auch zur Natur hin. Je nach Standort sind sie entweder nach Süden und Norden oder nach Osten und Westen ausgerichtet. Dabei läuft der Bereich für Wohnen, Essen und Küche jeweils von Fassade zu Fassade. Wie die Wohnfläche aufgeteilt wird, können die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner selbst entscheiden. «Wir haben bewusst keine Einteilung vorgenommen», sagt Dominic Meister. Unterstützt wird die zweiseitige Ausrichtung durch beidseits angeordnete Balkone. Im Endausbau umfasst die Waldstadt 214 Wohnungen mit 2,5 bis 5,5 Zimmern, wobei der Schwerpunkt auf Familienwohnungen liegt. In der ersten Etappe werden 104 Wohnungen realisiert, die zweite umfasst 78 Wohnungen. In der dritten Etappe, die im Gegensatz zur Hauptsiedlung kompakt um einen Innenhof herum konzipiert ist, können nochmals 32 Einheiten erstellt werden. Ihre Realisierung ist jedoch von der Nachfrage anhängig. «Unser Ziel wäre es, möglichst ohne Unterbruch weiterzubauen», sagt Projektleiter Roman Kummer. Bereits mit der ersten Etappe aktiv aufgegleist wird das Gemeinschaftsleben: Alle Wohnungskäuferinnen und -käufer werden per Kaufvertrag auch Mitglied im Quartierverein und bezahlen dafür einen festgelegten Jahresbeitrag. Damit wird sichergestellt, dass von Anfang an Geld für Gemeinschaftsaktivitäten vorhanden ist, wie etwa das Siedlungsfest nach dem Einzug im Jahr 2027.

Situation: Die Hauptsiedlung mit den beiden rechtwinklig zueinander verlaufenden Erschliessungsachsen entsteht in den ersten beiden Bauetappen, in einer dritten folgen die Häuser auf der kleineren Waldlichtung im Osten.
Grundriss Erdgeschoss, erste Etappe Nordwest: Die Geschosswohnungen sind fast alle zweiseitig orientiert – sowohl zu den Erschliessungsgassen als auch zum Grünraum hin.
Grundriss 1. Obergeschoss, erste Etappe Nordwest: Das von Fassade zu Fassade reichende zentrale Wohnzimmer überlässt den Nutzenden die Einteilung der Fläche.
Grundriss 3. Obergeschoss, erste Etappe Nordwest: Die unterschiedlich hohen Gebäude sorgen für Abwechslung und bieten Wohnungen mit grosszügigen Terrassen.

DOST Architektur

mit Hauptsitz in Schaffhausen wurde 1997 von Dominic Meister und Andi Loew gegründet. Heute hat das von fünf Geschäftsleitungsmitgliedern geführte Büro mit Ablegern in Basel, Zürich und Berlin 32 Mitarbeitende. Dost bearbeitet in unterschiedlichen Massstäben ein breites Spektrum an Projekten – von der kreislauffähigen Innenarchitektur für die Loft School in Uster bis hin zur komplexen Stadtentwicklung. Zum Portfolio gehören unter anderem der Umbau der Hauptsitze der SIG in Neuhausen und der SBB in Bern Wankdorf, verschiedene Zentrumsentwicklungen wie in Buchrain bei Luzern und die Arealentwicklungen Georg Fischer Schaffhausen sowie SIG Neuhausen. Aktuell befindet sich die Wohnbebauung des Silberhof-Areals im historischen Kontext der Altstadt von Schaffhausen in der Ausführung.
dost.org

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2025 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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