Verjüngungskur mit Vorlauf

Text
Deborah Fehlmann
Visualisierungen
Züst Gübeli Gambetti AG
Fotos
Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich, Michael Wolgensinger, Wolf-Bender’s Erben

In den 1970er-Jahren war das Hotel International der schickste Ort in Zürichs Norden. Hier traf man sich an der Check Point Bar, im Snack-Restaurant Marmite oder im Hallenbad mit Sauna und Liegehalle. Nach der Umbenennung zum Swissôtel kam der Renovationsstau – und schliesslich Corona. Dem Konkurs folgte eine Zwischennutzung. Nun steht die Revitalisierung an. Mit Kleinstwohnungen, einem «Stadtbalkon» und einer hippen Hotelkette soll sich der Betonkoloss ab 2024 zum urbanen Biotop mausern. Vom erstaunlichen Wandel eines jungen Baudenkmals.

Das Hochhaus zeigt die für die Nachkriegszeit typische Gebäudeform mit grossflächigem Sockel und Turm darauf. Nun soll es revitalisiert werden.

In der Lobby des ehemaligen Swissôtels türmen sich Matratzen und Nachttische. Möbelpacker karren palettenweise Stehleuchten und Stühle nach draussen, wo unter dem langen Dach der Vorfahrt schon der Laster wartet. Darüber ragt der leer geräumte Hotelturm 85 Meter hoch in den Himmel.

Direkt am Bahnhof liegend, ist er für viele Einheimische und Bahnreisende wohl das Wahrzeichen Oerlikons schlechthin. Nach gut 50 Jahren ohne umfassende Sanierung hat er seinen ursprünglichen Glanz allerdings eingebüsst. Die markante Tragstruktur und die Fassadenbänder aus gestrichenem Beton sind verwittert, die Alufenster stumpf, und im Sockelbereich wurde über die Jahre mit Nottreppenhäusern und Lüftungskanälen gebastelt.

Der bauliche Zustand war ein Grund, warum die Credit Suisse im Auftrag des Immobilienfonds, der das Gebäude seit 2012 besitzt, seine Umbau- und Entwicklungsperspektiven bereits 2018 durch die Halter AG ausloten liess. Der andere waren die sinkenden Belegungszahlen des Hotels. Die Corona-Pandemie schuf 2020 Tatsachen: Das Swissôtel ging Konkurs, und die Credit Suisse musste schneller als geplant handeln. Bunte Aufkleber und Schilder in den Treppenhäusern erinnern noch an die Zwischennutzung mit Co-Living und Pop-up-Hotel, die Anfang 2021 hier einzogen, um einen Leerstand während der Planungszeit zu vermeiden. Nun gehen die Lichter im Turm zum ersten Mal seit seiner Eröffnung als Hotel International 1971 für längere Zeit aus. Gut zweieinhalb Jahre werden die Umbau- und Sanierungsarbeiten unter der Leitung von Halter Renovationen dauern. Im Spätsommer 2024 sollen die ersten Räume wieder bezogen werden – allerdings nicht nur von Hotelgästen, sondern auch von permanenten Bewohnerinnen und Bewohnern.

Statt Hallenbad und Wellness bietet die Hochhauskrone künftig originellen Wohnraum. Die dreigeschossigen Townhouses haben die beste Aussicht und als einzige Wohnungen im Turm auch einen privaten Aussenraum.
Die heute verwaiste Dachterrasse des Sockelbaus soll dank einem Café und einer neuen Pergola zum belebten Stadtbalkon werden.

Internationale Monokultur

«Das Hochhaus ist ein idealer Stadtbaustein für diese zentrale Lage», findet Architekt Roman Züst, der mit seinem Büro Züst Gübeli Gambetti die Revitalisierung plant. Er verweist damit auf die für die Nachkriegszeit typische Gebäudeform mit grossflächigem Sockel und Turm darauf. Die niederen Sockelbauten vermitteln dabei in der Regel mit öffentlichen Nutzungen zum Stadtraum, die Wohn- oder Bürotürme sorgen für bauliche Dichte und die gewünschte Fernwirkung. Verwandte Zürcher Beispiele sind etwa das Geschäftshaus zur Palme von Häfeli Moser Steiger aus dem Jahr 1964 oder die 1967 fertiggestellte Überbauung Zum Bauhof von Werner Gantenbein.

«Mit der bisherigen Hotelnutzung hatten wir hier aber eher eine Monokultur», sagt Roman Züst. Tatsächlich richtete das Hotel sein Angebot von Beginn an vollständig auf Gäste aus der Ferne aus und blieb dem Quartier trotz Gastronomie und Läden im Erdgeschoss weitgehend fremd. Das International warb nicht nur mit seiner zentralen Lage zwischen Stadtzentrum und Flughafen, sondern war vom weltumspannenden Reiseverkehr geradezu inspiriert. In der Lobby fanden sich zwei Bankfilialen, ein Grosskiosk, eine Autovermietung und ein hauseigenes Swissair- Reisebüro. Das erstaunt wenig, steckten doch hinter der Bauherrschaft Hotel International AG nebst dem Zürcher Bauunternehmer Karl Steiner die Schweizerische Volksbank (1993 von der heutigen Credit Suisse aufgekauft), die Schweizerische Bankgesellschaft (1998 mit dem Schweizerischen Bankverein zur UBS fusioniert) und die Swissair. (Steiner (Hrsg.), Hotel International, Zürich 1972, S. 4)

Das erste Obergeschoss bot Kongresssäle und Banketträume mit der neusten technischen Ausstattung. Neben ihrem Konferenz- oder Urlaubsprogramm konnten die internationalen Gäste in der Ladenstrasse im Erdgeschoss Schmuck und Schuhe kaufen oder sich frisieren lassen. Für das kulinarische Wohl sorgten die Bar Check Point und das Snack-Restaurant Marmite. Die 23 Turm-Etagen fassten 348 Hotelzimmer, ein Panorama-Restaurant mit Tanzbar und – in der aluminiumverkleideten Krone – ein Hallenbad mit Sauna und Liegehalle. (Ebd., S. 15 ff.)

In seinen Anfangsjahren – hier Fotos von 1972/73 – gab sich das Hotel International seinem Namen entsprechend weltgewandt. Unterkunft und Gastronomie trafen den Geschmack der internationalen Kundschaft, Konferenzräume und Erholungsangebot entsprachen dem Stand der Technik.

Wandelbare Schottenstruktur

Auch konstruktiv war das Grosshotel auf dem neusten Stand der Technik. Karl Steiners Generalunternehmung plante es in Zusammenarbeit mit dem Architekten Fred Widmer und leitete auch den Bau. Vom zweigeschossigen Sockelbau abgehoben, ruht der Turm auf einem Tisch aus geschosshohen Betonträgern, die zum Bahnhof hin kühn in den Strassenraum ragen. Für die Zimmergeschosse darüber kam das sogenannte Allbetonsystem des schwedischen Bauunternehmens Skanska zum Einsatz. Statisch handelt es sich dabei um eine Schottenbauweise mit betonierten Innenwänden und Decken. Die Verwendung von raumgrossen, wiederverwendbaren Schalungen verkürzt aber die Bauzeit gegenüber einem konventionell geschalten Betonbau deutlich. Für den Rohbau eines Normalgeschosses mit Hotelzimmern entlang der Fassaden, zwei Längskorridoren und einer Erschliessungszone dazwischen benötigten die Bauarbeiter in Oerlikon bloss acht Tage. (Ebd., S. 11 ff.)

Die Kehrseite der Medaille: Die Struktur ist rigide, und Grundrissveränderungen sind aufwendig. Erste Ideen der Architekten, die unbelichtete Mittelzone zugunsten grösserer Raumtiefen aufzuheben, erübrigten sich ohnehin rasch. Als «hervorragender Zeuge der Nachkriegsmoderne mit schweizweiter Ausstrahlung» (Stadt Zürich, Amt für Städtebau, Fachbereich Inventarisation und Denkmalpflege (Hrsg.), Abklärung der Schutzwürdigkeit. Schulstrasse 44, Hofwiesenstrasse 360, Hotel International (heute Swissôtel), 27. April 2020, S. 50) steht das Gebäude seit 2021 unter kommunalem Denkmalschutz. Besonders schützenswert befand die Denkmalpflege nebst der Fassade die dreibündigen Turmgrundrisse, die nebenbei gesagt typisch für Bürohochhäuser, nicht aber für Wohnbauten aus der gleichen Zeit sind. (Ebd., S. 37)

Wie also soll sich dieser starre Betonriese von einer Monokultur in ein vielfältiges Biotop verwandeln? «Die Struktur kann viel», sagt Roman Züst und erklärt das Projekt: Bis ins zwölfte Obergeschoss wird der Turm auch künftig Hotelzimmer beherbergen. Dort erfordern die neuen Badezimmer und der Ersatz der Haustechnik nur kleine Eingriffe in die Tragstruktur. Im oberen Teil des Turms nehmen gut 38 Quadratmeter grosse Zweizimmerwohnungen je zwei Hotelzimmerbreiten ein. Zur Verbindung von Wohn- und Schlafbereich sind hier zusätzlich Wanddurchbrüche notwendig. Die Hotelzimmer an den Schmalseiten des Turms werden aufgeteilt und den grösseren Eckwohnungen zugeschlagen.

Noch kompakter wohnen die künftigen Mieterinnen und Mieter des 21. und 22. Obergeschosses. Die als Minilofts betitelten Kleinstwohnungen dort entsprechen der Grösse eines Hotelzimmers. Sie zeichnen sich aber durch mehr Raumhöhe im Wohnbereich und einen über Eingang und Badezimmer liegenden «Kofferraum» aus, der sich mit einer Leiter erklettern lässt. Manch einer wird den Stauraum vielleicht als Schlafkajüte nutzen – wer weiss. Treffen sollen sich die Bewohner dieser Klein- und Kleinstwohnungen in den gemeinsamen Waschsalons im Zentrum jedes Stockwerks.

Über das oberste Geschoss und die zweistöckige Krone schliesslich werden sich sechs sogenannte Townhouses mit je vier Zimmern erstrecken. Sie besitzen Zugang zur Dachterrasse und haben damit als einzige Wohnungen im 23 Stockwerke zählenden Turm einen privaten Aussenraum – noch dazu mit atemberaubender Weitsicht.

Während das Äussere über die Jahre weitgehend unverändert blieb, wandelte sich der Innenausbau des Hotels stets mit den aktuellen Trends, wie historische Aufnahmen aus dem Jahr 1984 zeigen.

Bunte Gemeinschaft

Vor allem soll sich das Haus aber mehr mit der Stadt verbinden. Eine breite Wendeltreppe wird die Öffentlichkeit künftig vom Bahnhof her auf den «Stadtbalkon» locken, wie Architekten und Bauherrschaft die Terrasse auf dem Dach des zweigeschossigen Sockelbaus nennen. Dort können sich dann Bewohnerinnen, Bewohner und Hotelgäste genauso wie Nachbarn unter einer neuen Pergola zu Kaffee und Apéro treffen. «Die Zugänglichkeit ist uns wichtig», betont Jessica Lindauer. Als Fondsmanagerin bei der Credit Suisse ist sie verantwortlich für den Immobilienfonds, dem die Liegenschaft gehört. «An einem so prominenten Ort muss man die Öffentlichkeit einbeziehen.»

Für ein einladenderes und vor allem jüngeres Gesicht des Hotelbereichs soll die knallige Hotelmarke Mama Shelter aus Frankreich sorgen, die wie Swissôtel zur Accor-Gruppe gehört. Die Zusage von Mama Shelter Ende 2021 freute Jessica Lindauer besonders: «Wohnungen und Hotel sprechen ein ähnliches Publikum an – junge und junggebliebene, urbane Menschen, die viel reisen und gerne Zeit ausserhalb ihrer eigenen vier Wände verbringen.» Sie hofft, dass das Haus leben und sich wie zu Zeiten der Zwischennutzung eine Community bilden wird. Auch deshalb werden die Konferenz- und Banketträume zugunsten von frei nutzbaren Aufenthaltsräumen und Co-Working Spaces reduziert.

Schnitt: Grössere Eingriffe in die geschützte Struktur finden in den obersten Geschossen und der Krone statt. Dort ermöglichen Deckenabbrüche den Einbau von überhohen Minilofts und Townhouses.
Grundriss Erdgeschoss: Trotz neuer Innenraumgestaltung bleiben die weitläufige Hotellobby, die Gewerberäume und das Restaurant nutzungsmässig unverändert.
Grundriss 2. Obergeschoss: Das Dach des Sockelgeschosses wird zum Stadtbalkon mit Pergola und Café.
Grundriss 14.-20. Obergeschoss: Die denkmalgeschützte Tragstruktur wird bei der Umnutzung möglichst geschont. Zwei Hotelzimmer werden jeweils zu einer Kleinwohnung.
Grundriss 25. Obergeschoss: Unterhalb der Gebäudekrone, im Bauch der fensterlosen Technikzentrale, liegen die Eingangsbereiche der dreistöckigen Townhouses.

Räumliche Umschichtung

Bis das neue Leben in den Turm einziehen kann, gibt es noch viel zu tun. «Allein die Schadstoffsanierung dauert fünf bis sechs Monate», sagt Alexander Delev, Mitglied der Geschäftsleitung bei Halter Renovationen. Auch die Koordination der Haustechnik sei anspruchsvoll. In den Untergeschossen kommt einiges an Installationen hinzu, unter anderem für die neuen Fussbodenheizungen in den Wohnungen. Weil die heutigen Normen im Sockelbereich und den Untergeschossen statische Verstärkungen zur Erdbebensicherheit verlangen, muss die gesamte Elektroverteilung verlegt werden.

Während es unten enger wird, leert sich das 1,70 Meter hohe Zwischengeschoss unter dem früheren Panorama-Restaurant. Die Minilofts gewinnen dadurch Überhöhe und Kofferraum. Auch in der Technikzentrale unter der Krone, wo sich bisher Kanäle des Wellnessbereichs kreuzten, gibt es Platz. Hier enden die Aufzüge, und künftig befinden sich im Bauch des unbefensterten Geschosses die Eingänge und Essbereiche der Townhouses. Tageslicht wird über Deckendurchbrüche aus dem oberen Geschoss hinabfallen.

Weitaus sanfter als im Inneren gehen die Bauarbeiten an der geschützten Fassade vonstatten. Die vorfabrizierten Betonbrüstungen werden innen gedämmt, aussen gewaschen und erhalten einen neuen Anstrich im originalen Farbton. Die Fenster aus dem Erstellungsjahr wurden in den Neunzigerjahren energetisch ertüchtigt. Die Begutachtung durch einen Fensterspezialisten und die Denkmalpflege ergab, dass sie sich vor Ort instand stellen lassen. «Aus denkmalpflegerischer Sicht hätten wir die Fenster ersetzen dürfen», erklärt Alexander Delev, «aber so ist es ökologischer.»

Was dem Hochhaus noch fehlt, ist ein neuer Name. Vielleicht bietet sich ja eine Rückbesinnung auf die Ursprünge an. Mit dem auf Arbeitsnomaden ausgerichteten Hotel Mama Shelter unten, Minilofts für Globetrotter darüber und Townhouses für Empty Nesters zuoberst würde «International» doch eigentlich gut passen.

Eine breite Wendeltreppe gegenüber dem Bahnhof soll nicht nur Hotelgäste, Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch die Öffentlichkeit auf den Stadtbalkon einladen.

Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG

Roman Züst, Michel Gübeli und Andrea Gambetti waren bereits erfahrene Architekten, als sie 2010 ihr gemeinsames Büro in Zürich gründeten. So liessen grosse Aufträge nicht lange auf sich warten: Zu ihren Frühwerken gehören der Um- und Weiterbau des Hero-Areals in Lenzburg (2015–2017), die Erweiterung des Google Headquarters (2013) und das neue Büro- und Seminargebäude HCP der ETH (2015), beide in Zürich. Heute beschäftigt die Firma gut 70 Mitarbeitende. Sie arbeitet vom Produktdesign bis zum Städtebau in allen Massstäben und bietet auch Planungs- und Beratungsleistungen an. Neben der Revitalisierung des Hochhauses in Oerlikon planen Züst Gübeli Gambetti derzeit mehrere Wohn- und Gewerbeüberbauungen im Raum Zürich.
www.z2g.ch

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2022 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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