Verfahren mit Modellcharakter

Text und Grafik
Christian Schranz und Harald Urban

Die Digitalisierung des Bauwesens erfasst Schritt für Schritt auch das Behördenverfahren. Viele öffentliche Stellen arbeiten bereits an der ersten Stufe der digitalen Baueingabe. Die Stadt Wien entwickelte mit einem Forschungsteam im EU-geförderten Projekt Brise-Vienna nun einen vollständigen digitalen Open-BIM-Bewilligungsprozess. Dieser zeigt bereits im Pilot­betrieb die Vorteile der Verwendung von offenen Modellierungsmodellen – nicht nur für die Behörden, sondern auch für die Planungsteams.

Das Planungsteam des Architekturbüros arbeitet auf Hochtouren an seinem BIM-Modell. Alle Wünsche des Auftraggebers sind berücksichtigt, und die Baueingabe bei der Behörde steht an. Doch bevor dies geschehen kann, müssen aus dem 3D-BIM-Modell erst die 2D-Eingabepläne sowie weitere Unterlagen auf Papier erstellt werden – ein Medienbruch und ein Rückschritt von digital auf analog. Die 2D-Eingabepläne erfordern zudem Informationen, die eigentlich im 3D-BIM-Modell schon vorhanden wären. Wie-
so könnte nicht einfach das BIM-Modell eingereicht werden?

Die Mitarbeitenden der Baubehörde erhalten die ausgedruckten Pläne und Unterlagen. Die Aufteilung der Dokumente auf die entsprechenden Abteilungen beginnt. Papier wird hin- 
und hergetragen beziehungsweise -geschickt. Danach fangen die Prüfungen an: Sind die eingereichten 2D-Pläne und Unterlagen vollständig, oder bedarf es weiterer Präzisie-
rungen? Möglicherweise muss die Baueingabe nachgebessert und neu eingereicht werden. Erst danach folgt die Prüfung der Einhaltung aller rechtlichen und technischen Bestim-
mungen. Ein längeres Verfahren nimmt seinen Lauf. Wäre die Digitalisierung nicht auch hier eine Unterstützung für die Behörde?

Genau diesen Fragen widmet sich die Digitalisierung des Behördenverfahrens. Es 
soll sowohl die Planungsteams als auch die öf-
fentlichen Stellen im Bewilligungsprozess unterstützen. Doch wie sieht dieser Weg aus?

Digitaler Reifegrad

Das Reifegradmodell zeigt die verschiedenen Digitalisierungsstufen im Bewilligungsprozess. Level 0 steht für die analoge 2D-Eingabe: In der Vergangenheit prägten analoge Unterlagen den Bewilligungsprozess. Die Planungsteams zeichneten alle einzureichenden Pläne. Seit der Einführung von CAD wurden die Pläne ausgeplottet und als Papierpläne mit zahlreichen anderen Unterlagen zur Behörde gebracht. Diese teilte die Pläne und die Unterlagen auf die zuständigen Abteilungen auf.

Das Reifegradmodell zeigt die verschiedenen Digitalisierungsstufen (Level 0, Level 1, Level 2, Level 3) im Bewilligungsprozess.

Viele Kommunen und Länder arbeiten schon heute am ersten Schritt der Digitalisierung. Level 1 stellt die digitale Baueingabe dar: Anstatt die Papierpläne zu den Behörden zu bringen, gibt es eine Webplattform, über die die Planungsteams Pläne und Unterlagen als PDF-Dateien hochladen können. Die Aufteilung der Unterlagen an die einzelnen Abteilungen erfolgt automatisch und vernetzt mit Datenbanken. Danach nutzen alle Beteiligten eine webbasierte Kommunikation. Dieser erste Digitalisierungsschritt ist nicht so einfach, wie er erscheinen mag. Besonders wichtig ist der richtige IT-technische Aufbau der Web-plattform, damit später auch weitere Digitalisierungsschritte schnell und einfach vollzogen werden können.

Der nächste Schritt ist Level 2. Er bezieht das digitale Modell mit ein: Hier laden die Planerteams das Open-BIM-Modell im IFC (Industry Foundation Classes), dem offenen Standard für den Datenaustausch in der Bauindustrie, hoch. Die Verwendung von Open BIM ist wichtig, weil die Planungsteams so frei in der Wahl ihrer BIM-fähigen Software sind. Die Behörden wiederum können die hochgeladenen Modelle einfach speichern und langfristig verwenden (ähnlich den früheren Papierplänen), da die IFC-Datenstruktur ISO-genormt ist. Die Prüfung erfolgt nun direkt an den Open-BIM-Modellen.

In Level 3 hat die Behörde bereits einen modellbasierten Bebauungsplan und kann diesen für die Prüfung der Open-BIM-Modelle verwenden.

Der Open-BIM-Bewilligungsprozess

In Wien entwickelte ein Forschungsteam gemeinsam mit den Abteilungen der Stadt Wien einen Open-BIM-Bewilligungsprozess im EU-geförderten Forschungsprojekt Brise-Vienna. Dieses fokussierte sich ganz auf Level 2. Dazu bildete das Team zuerst den gesamten analogen Bewilligungsprozess in einer Prozesslandkarte ab und optimierte sodann den Prozess sowie die Prozessschritte für den digitalen Open-BIM-Bewilligungsprozess.

Erst die teilautomatische Prüfung der Open-BIM-Modelle führt zu einer Entlastung der Mitarbeitenden der Baubehörde. Dazu sind drei Modelle erforderlich: das Bauantragsmodell BAM, das Referenzmodell REM und das Service-informationsmodell SIM. Diese drei Modelle fliessen im Prüfmodell der Behörde zusammen. Damit können nun die teilautomatischen Prüfungen der baurechtlichen und bautechnischen Bestimmungen erfolgen.

Das Fachmodell der Architektur bildet das eingereichte BAM. Für dieses Modell gibt es genaue Anforderungen (Level of Geometry, Level of Information), denn das BAM muss alle Informationen enthalten, die auch bei einer bisher üblichen Einreichung erforderlich waren. So muss beispielsweise klar aufgeführt sein, welche Räume Aufenthaltsräume sind, da für diese spezielle Bestimmungen gelten. Das REM bildet die Einschränkungen des Baugrunds beziehungsweise des Bebauungsplans ab. Es stellt somit gewissermassen eine Umhüllung für die mögliche Bebauung auf dem entsprechenden Grundstück dar. Das SIM entspricht im Open-BIM-Modell einem Würfel, der für jene Bestimmungen steht, die nicht geometrisch dargestellt werden, aber für die baurechtliche und bautechnische Prüfung erforderlich sind.

Das Bauantragsmodell BAM, das Serviceinformationsmodell SIM und das Referenzmodell REM fliessen im Prüfmodell der Behörde im IFC-Standard zusammen.

Somit kann die Behörde das BAM gegenüber dem REM und dem SIM prüfen. Dazu gibt es drei Typen von Prüfregeln: automatische Prüfregeln, teilautomatische Prüfregeln und unterstützende Prüfregeln. Die automatische Prüfregel liefert ein eindeutiges Ergebnis: Bestimmung erfüllt oder nicht erfüllt. Beispiele dafür sind die erforderlichen Breiten von Türen, die ausreichende Grösse der Fensterflächen zur Belichtung der dahinterliegenden Aufenthaltsräume oder die Einhaltung der Baulinien und Bauhöhen. Die teilautomatische Prüfregel weist zwar ein Ergebnis aus, benötigt aber noch eine Entscheidung des Behördenvertreters. Ein Beispiel dafür ist die Fluchtweganalyse. Die unterstützende Prüfregel hilft dem Beurteilenden grafisch, beispielsweise durch die Anzeige der tragenden Bauteile.

Diese Art der Prüfung der eingereichten Open-BIM-Modelle beschleunigt den Bewilligungsprozess entscheidend. Sehr viele zeitaufwendige Schritte erfolgen durch die Prüfsoftware und müssen nicht mehr von der Behörde selbst durchgeführt werden.

Prüfung vor Einreichung

Der Zeitraum der Prüfung der baurechtlichen und bautechnischen Bestimmungen ist jedoch nicht der einzige Einflussfaktor auf die Dauer des Bewilligungsprozesses. Zuerst müssen die Unterlagen vollständig und in prüfungs- sowie bewilligungsfähiger Qualität vorliegen. Ist dies nicht der Fall, müssen zusätzliche Unterlagen angefordert oder die eingereichten zur Nachbesserung zurückgeschickt werden.

Die Vollständigkeit der Unterlagen kann bereits in Level 1 durch die entsprechende Gestaltung der Einreichmaske der Webplattform erlangt werden. Im Projekt Brise-Vienna baute das Forschungsteam eine zusätzliche Qualitätsmassnahme ein: die Vorprüfung noch vor der Eingabe. So kann das Bauantragsmodell BAM bereits vor dem Einreichen geprüft werden. Da hierbei die Behörde noch nicht involviert ist, erfolgt eine Prüfung mit allen automatischen Prüfregeln, die keine Entscheidung durch den Vertreter der Baubehörde erfordern. Das Planungsteam kann das BAM so oft prüfen, wie es möchte. Jedes Mal erhält es einen Prüfbericht und verbessert das Modell. Es reicht das Modell erst ein, wenn der automatische Check keine Fehler mehr aufweist. Damit ist auch sichergestellt, dass das BAM alle Anforderungen an die Prüffähigkeit erfüllt – ein Qualitätscheck für das Open-BIM-Modell.

Unterstützung für Planungsteams und Behörden

Der im Projekt Brise-Vienna entwickelte Open-BIM-Bewilligungsprozess zeigt, dass die Digitalisierung der Baueingabe sowohl für die Planungsteams als auch für die Behörden eine grosse Unterstützung ist. Die Planungsteams können durch die automatische Vorprüfung ihre BIM-Modelle so lange verbessern und prüfen, bis diese in ausreichender Qualität bewilligungsfähig sind. Die Behörde erhält ein sehr gutes Unterstützungstool, das ihr zeitraubende Prüfungen abnimmt und den Bewilligungsprozess beschleunigt.

Das eingereichte Open-BIM-Modell bietet im Verfahren zusätzliche Möglichkeiten: Durch den Einsatz von Augmented Reality könnte das geplante Bauwerk direkt am Baugrund visualisiert werden – anstatt des Baugespanns oder zusätzlich.

Christian Schranz (49) begann seine Forschungsarbeit an der University of Illinois at Urbana-Champaign in den USA und setzte diese an der TU Wien fort, wo er heute den Bereich Digitaler Bauprozess leitet. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der Modellierung von Baukonstruktionen und der Digitalisierung im Bauwesen. Als Vorstandsmitglied von Building Smart Austria ist er fürs Quality-Management und die Open-BIM-Ausbildung verantwortlich. Er ist Teil der Prüfungskommission für die BIM-Cert-Ausbildung. Bei Building Smart International ist er im Steering-Committee der Professional Certification.

Harald Urban (31) ist stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs Digitaler Bauprozess an der TU Wien, staatlich geprüfter Baumeister und einer der ersten Certified Trainer (BIM) von Building Smart Austria. Dort leitet er die nationale Working-Group Open-BIM-Bewilligungsverfahren, die er im EU-geförderten Forschungsprojekt Brise-Vienna weiterentwickelt. Er betreut zahlreiche Forschungsprojekte zum Thema Digitalisierung im Bauwesen und ist Mitautor der von der Wirtschaftskammer Österreich und dem österreichischen Klimaschutzministerium beauftragten Studie «Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen».

www.tuwien.at/cee/ibb/zdb

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2023 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

Magazine bestellen

KOMPLEX bietet Ihnen spannende Einblicke in die neuesten Entwicklungen der Bau- und Immobilienwirtschaft. Themen wie Stadtentwicklung, Architektur, Engineering, Umwelt, Gesellschaft, Markt sowie digitales Planen und Bauen stehen dabei im Mittelpunkt. Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie quartalsweise die neusten Beiträge direkt in Ihr Postfach.

Jetzt digital mitlesen.