Struktur schafft Raum für Neues

Sechzig Jahre waren in dem von Roland Rohn erbauten Gebäude Talgarten in Zürich Büros und Geschäfte untergebracht. Nun wird die Immobilie an bester Innenstadtlage zum Hotel umgenutzt. Der niederländischen Kette citizenM bietet die 1952 fertiggestellte, rigide Struktur des Skelettbaus optimale Voraussetzungen für die Implementierung ihrer genormten Signatur-Zimmer. Im Juli 2019 soll die Eröffnung sein.

Das anschaulichste Beispiel eines citizenM-Hotels wurde im vergangenen September in Manhattans quirliger Bowery eröffnet. Es steht wie kein anderes für das bauliche Konzept der niederländischen Budget-Hotel-Kette. Der 21 Stockwerke zählende Turm ist das höchste modulare Hotel der USA. Auf seinen viergeschossigen Betonsockel wurden 210 in Polen vorgefertigte und nach Amerika verschiffte Container gesetzt, die mit je zwei fertig ausgebauten Zimmern und einem Teil Gang bestückt sind. Sie werden über die gesamte Höhe von nur einem Erschliessungskern und einer Wandscheibe gehalten.

Die Lobby des citizenM-Hotels ist mit Vitra-Möbeln bestückt. Die Bar hat rund um die Uhr offen.
In allen citizenM-Hotels ist das Bett vor dem Fenster eingebaut und gibt die Breite des Zimmers vor.
Die Rooftop-Bar cloudM befindet sich im 21. Stock und bietet freie Aussicht auf New York.
Zur Rooftop-Bar gehört auch ein Aussenbereich mit bequemen Lounge-Sofas.
Das citizenM steht im New Yorker Stadtteil Bowery und ist das höchste Gebäude der Umgebung.

Ein citizenM für Zürich

Zentrale innerstädtische Lagen sind genau das, was sich die Verantwortlichen bei citizenM für ihre Hotels wünschen. Doch nur selten dürfen solche Grundstücke neu bebaut werden, und nur die wenigsten bestehenden Bauten eigenen sich für die Implementierung vorfabrizierter Zimmermodule. Ausgerechnet in Zürich, bei einem der jüngsten citizenM-Projekte, erwies sich der Bestand nicht als Hindernis. Das ehemalige Geschäfts- und Bürohaus am Talacker 42 stellte mit seiner klaren Struktur und einem rigide gerasterten Grundriss von Beginn an eine ernsthafte Option dar.

Der Talgarten wurde Anfang der 1950er-Jahre vom Zürcher Architekten Roland Rohn entworfen und erbaut. Das 60 Meter lange, am nördlichen Ende leicht gekrümmte Gebäude zelebriert seine Gestalt mit einer markanten Rasterfassade: Fünf Fensterbänder beschreiben die Stockwerke und ziehen sich über die gesamte Länge des Hauses. Ihre Dynamik spielt auf den in der Erstellungszeit zunehmenden Verkehr an, der die nördlich gelegene Sihlporte zu einem der Knotenpunkte der Stadt machte. Die Horizontale wird von vertikalen Betonpfeilern rhythmisiert. Sie wurden mit Travertin verblendet, unter den Fenstern sind Putzkassetten angebracht. Ein auskragendes Flachdach bildet einen eleganten Abschuss, im Erdgeschoss liegen zurückgesetzte Fensterfronten. Ein verglaster Erker, der von der ersten bis zur fünften Etage reicht, bildet den südlichen Abschluss.

Qualitätsvoller Skelettbau

Doch nicht nur äusserlich, auch im Inneren zeigt der Skelettbau Qualität. Die Betondecken werden ausser von den Fassadenpfeilern noch durch zwei innere Pfeilerreihen gestützt. Tragende Wände gibt es nur beim Treppenhaus, was eine fast unbegrenzte Flexibilität des Grundrisses zur Folge hat. Die Erstmieter der Büroflächen hatten beim Ausbau freie Hand. Vereinzelt wurden sogar Treppen eingebaut, um die Nutzung einer Einheit über mehrere Etagen möglich zu machen. In den Erdgeschossen eröffneten verschiedene Detailhändler. Der Herrenausstatter Bovet, bis in die jüngste Zeit bekannt für seine kunstvollen Schaufensterpuppen, gehörte von Anfang an dazu. Er war auch einer der letzten Mieter, die die in die Jahre gekommene Immobilie 2017 nach über einem halben Jahrhundert verliessen.

Bereits 2015 hatte die Eigentümerin Balintra AG, eine Tochtergesellschaft der UBS Fund Management (Schweiz) AG, die Liegenschaft zur Neuvermietung ausgeschrieben. Als die niederländische Hotelkette citizenM das Gebäude in Augenschein nahm, traten überraschende Ähnlichkeiten mit deren normiertem Zimmerkonzept zutage. Die daraufhin beim Zürcher Architekturbüro Camenzind Bosshard Architekten in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie bestätigte den ersten Eindruck. In das durch die Pfeiler und Fensterausschnitte vorgegebene Raster des Roland-Rohn-Baus würden sich – mit kleinen Anpassungen – die weltweit normierten citizenM-Zimmer einfügen lassen. Nur die unter Denkmalschutz stehende Fassade, der Eingangsbereich und das Treppenhaus mit ovalem Treppenauge würden nicht angetastet werden dürfen.

Die denkmalgeschützte Fassade des Talgartens vom Talacker aus gesehen. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)
Der Eingang zur Liegenschaft Talgarten, die eine Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich erhielt. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)
Die mit Travertin verkleidete Eingangshalle mit Aufzügen und Treppenaufgang. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)
Die frei unterteilbaren Obergeschosse wurden bis zum Umbau als Büros genutzt. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Rückbau und Neuausbau

2016 einigten sich die Bauherren mit der Hotelgruppe. Eine Absichtserklärung wurde unterzeichnet. Als Totalunternehmerin bestimmte man die Halter AG, die wiederum den Auftrag für die Ausführungsplanung der Umnutzung an die bereits mit dem Objekt vertrauten Architekten Camenzind Bosshard vergab. Diese vollbrachten die kniffelige Aufgabe, die Zimmer entlang der vorderen und rückwärtigen Fassade in die vorgegebenen Rastermasse einzufügen, Versorgungsschächte zu setzen, Servicezimmer möglichst dort zu planen, wo vorhandene Resträume oder nicht als Hotelzimmer nutzbare Flächen übrig blieben. Zudem wurde die bestehende Haustechnik zurückgebaut und ein neues HLKS-Konzept erstellt. Den Architekten oblag es auch, die Aluminiumbänder des Treppengeländers möglichst originalgetreu entsprechend der geltenden Norm für Absturzsicherungen anzupassen.

Die Fenster waren bereits in den 1990er-Jahren ohne Rücksicht auf die bauzeitliche Substanz ausgetauscht worden. Hier einigte man sich mit der Denkmalschutzbehörde auf einen Austausch. Doch erst nach Beginn der Arbeiten, die das Haus in den Rohbauzustand zurückführten, stellte sich bei Messungen heraus, dass der enorme Aussenlärm an diesem auch nachts viel frequentierten Ort ein Problem für den Schallschutz darstellt. So musste man zu einer neuen Lösung finden und eine Abänderungseingabe machen. Schliesslich wurde entschieden, eine zweite schallabsorbierende Fensterebene einzubauen.

12-Quadratmeter-Zimmer

Auf fünf Etagen konnten zu beiden Seiten eines zentralen Gangs 160 Hotelzimmer untergebracht werden. Deren Grundriss richtet sich nach dem Signatur-Gästezimmer von citizenM, bei dem das Bett immer vor dem Fenster eingebaut ist. Auf fünfzehn Quadratmeter Zimmerfläche ist jedes Detail vorbestimmt. Eine schmale Dusch-WC-Zelle aus weissem Kunststoff befindet sich neben der Tür. Ihr gegenüber steht ein passendes Waschbecken an der Wand, darunter ist die Minibar eingebaut. Eine Kleiderstange und ein kleiner Arbeitsplatz mit Stuhl komplettieren das Interieur. Alle Bauteile wurden in einem süddeutschen Schreinerbetrieb vorgefertigt, angeliefert und von Schweizer Unternehmen montiert.

Das Angebot von citizenM richtet sich an ein junges und unkompliziertes Publikum. Wer hier bucht, der bleibt im Normalfall nicht länger als drei Tage, ist meist zum Arbeiten in der Stadt und verzichtet zugunsten eines ansprechenden Designs gerne auf Spa oder Roomservice. Entsprechend checkt hier jeder Gast an einem digitalen Terminal selbst ein. Auf dem Zimmer steht ihm dann ein iPad mit allen nötigen Informationen zur Verfügung. Auch Licht, Klima und Beschattung lassen sich per Tablet steuern.

Im Erdgeschoss, dort wo einst hinter grossen Glasscheiben Waren ausgestellt waren, wird es rechts des Eingangs eine Bar mit Lounge-Bereich geben. Hier sollen rund um die Uhr Essen und Getränke serviert werden. Auf der linken Seite werden grosszügige Sitzungs- und Konferenzzimmer eingebaut. Für die Kunst, mit der bei citizenM üblicherweise der gesamte Publikumsbereich bespielt wird, fand man in Zürich noch einen ganz besonderen Ort. Der die Fassade abschliessende Erker soll auf seiner ganzen Höhe mit einem Fotoprint von Jean-Vincent Simonet beklebt werden. Der ECAL-Absolvent lebt und arbeitet in Zürich und Paris.

Im Luftbild ist die Lage der Liegenschaft Talgarten in der Zürcher City gut zu erkennen. Die Sihlporte liegt in nächster Nähe.
Auf einem Originalplan von Roland Rohn sind die Strassenfassade und die Nachbargebäude abgebildet.
Der historische Grundriss zeigt, dass der Talgarten Teil eines Ensembles war. Im vis-à-vis des «Autoparks» stehenden Gebäudes an der Nüschelerstrasse wurde das Treppenhaus gespiegelt.
Das von Camenzind Bosshard Architekten neu geplante Erdgeschoss bildet die Lobby und die grosszügigen Sitzungszimmer des citizenM-Hotels in Zürich ab.
Auf den Obergeschossen konnten die citizenM-Signatur-Zimmer in den bestehenden Grundriss eingepasst werden.
Im Schnitt der Liegenschaft Talgarten heben sich das denkmalgeschützte Treppenhaus und der Erker auf der Strassenseite ab.

Die Kraft der Architektur-Ikone

Die schönsten Elemente aber bleiben die im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte der Stadt Zürich eingetragenen, ursprünglichen Bauteile des Talgartens von 1951/52: die Rasterfassade, der Eingangsbereich und das Treppenhaus mit weit ausschwingender Wendeltreppe und ovalem Treppenauge. Es bleibt zu wünschen, dass die Kluft zwischen Neuausbau und Bestand nicht zu gross gerät, damit der historische Bau seine identitätsstiftende Wirkung an diesem zentralen Ort in der Zürcher City auch weiterhin entfalten kann. Andreas Camenzind, dem die Originalpläne von Roland Rohn vorlagen, ist von dessen Arbeit begeistert: «Roland Rohn war ein grossartiger Architekt, der qualitätsvolle Lebensräume geschaffen hat. Seine raumbildenden Tragwerke sind beeindruckend.»

Camenzind Bosshard Architekten

Das Büro Camenzind Bosshard Architekten wurde 2007 von Andreas Camenzind und Michael Bosshard gegründet. In den darauffolgenden Jahren konnten dank Wettbewerbserfolgen diverse lokale Bauten im Grossraum Zürich realisiert werden. Dabei stehen Bauaufgaben mit historisch wertvoller Bausubstanz im Vordergrund. Das Spektrum an Bauprojekten umfasst Schul-, Verwaltungs-, Infrastruktur- und Wohnungsbauten ebenso wie Restaurations- und Hotelbetriebe. Der direkte Austausch mit fachkundigen Spezialisten und Unternehmern hat die Entwurfstätigkeit fortlaufend gefördert und gestärkt.

camenzindbosshard.ch

CitizenM Hotel, Zürich

citizenm.com