Drei in Einem
Auf dem rund 20 000 Quadratmeter grossen ehemaligen Gaswerkareal in Luzern ist ein neues Stück Stadt zum Wohnen, Arbeiten und für öffentliche Nutzungen geplant. Im Zuge der Gesamtleistungsstudie ewl-Areal Luzern wurden im Sommer 2019 die Gewinner gekürt. Das Projekt Rotpol vom Team ARGE Halter AG und Eberli AG zusammen mit den Architekten E2A und Masswerk sowie Raymond Vogel Landschaften überzeugte durch drei unterschiedliche, sich zu einer Einheit formenden Bauten für die dreieckige Parzelle. Nach Erarbeitung von Gestaltungsplan, Vorprojekt und Bauprojekt sollen die Bürger der Stadt Luzern 2021 über die Finanzierung abstimmen.
Die Stammliegenschaft der Energie Wasser Luzern Holding AG (ewl) an der Industriestrasse in Luzern ist Teil des städtischen Entwicklungskonzepts Steghof, das die Parzelle in einem grösseren städtebaulichen Kontext verortet. Die ewl-Holding, die Stadt Luzern und die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (abl) gründeten eine AG, die für die Planung, Realisierung und Bewirtschaftung der künftigen Arealüberbauung verantwortlich ist.
Neben den bereits auf dem Areal vorhandenen ewl-Nutzungen und städtischen Dienstabteilungen sollen künftig auch die Feuerwehr, die Zivilschutzorganisation, das Strasseninspektorat, die Stadtgärtnerei, der Rettungsdienst Kantonsspital, die integrierte Leitstelle sowie gemeinnützige Wohnungen der abl und ein Pflegezentrum für betagte Menschen der Viva Luzern AG angesiedelt werden. Das Areal soll sich zu einem städtischen Quartier entwickeln, in welchem in qualitativ hochwertigen Gebäuden und Aussenräumen gearbeitet und gewohnt wird.
Das Gebiet liegt in der Stadtebene von Luzern am See und wird südlich vom Geissensteinring, im Westen von der Fruttstrasse und im Osten von der Industriestrasse umschlossen. Südlich steigt topografisch eine kleinförmige und stark durchgrünte Siedlungsstruktur an, die sich deutlich von der Bebauung des flachen «Stadtbodens» unterscheidet. Westlich unterstreicht ein weitläufiges Gleisfeld den industriellen Charakter des Quartierteils.
Für städtebauliche und architektonische Qualität
Mit einer Gesamtleistungsstudie für die zukünftige Nutzung sollten herausragende städtebauliche und architektonische Lösungsvorschläge gefunden werden, die auf die spezielle Lage und Umgebung des ewl-Areals reagieren, die funktionalen und räumlichen Nutzervorgaben erfüllen, die Eigenidentität der einzelnen Nutzer wahren und den finanziellen Erwartungen der Bauherrschaft entsprechen. Die Unterbringung unterschiedlichster Nutzer auf dem Areal war eine grosse Herausforderung, aber auch eine Chance für innovative Lösungsansätze. Mischnutzungen innerhalb einzelner Gebäudekörper waren explizit erwünscht, solange die baurechtlichen und betrieblichen Vorgaben erfüllt werden konnten. Die städtebauliche Setzung der Gebäude sollte Aussagen zum räumlichen Ineinandergreifen von Bauvolumen und Freiräumen machen und gleichzeitig Fragen bezüglich Orientierbarkeit und Erschliessung beantworten. Die Fassaden und ihre Materialität hatten der städtebaulichen Präsenz im Quartier Rechnung zu tragen und eine identitätsstiftende Gestaltung aufzuweisen. Die Grundrisse und Schnitte sollten das vorgeschriebene Raumprogramm bestmöglich umsetzen und einen hohen Gebrauchswert aufweisen. Dabei stellten die besonderen Erdgeschossnutzungen von ewl und Feuerwehr sowie der Erhalt des schützenswerten Roten Hauses zusätzliche Herausforderungen dar. Der Betrieb der vorhandenen Nutzungen auf dem Gelände sollte während der gesamten Bauphase gewährleistet sein. Ein verbindlicher Werkpreis eines wirtschaftlichen Projekts mit einem kostengünstigen Betrieb und Unterhalt wurde erwartet.
Für die Gesamtleistungsstudie wurden in der Präqualifikation sechs Entwicklerteams ausgewählt. Anhand der eingereichten Projektbeiträge zur ersten Stufe mit Schwerpunkt städtebauliche Setzung wurde die Teilnehmerzahl auf drei Projektteams reduziert. Gegenstand der zweiten Stufe war ein architektonisch hochstehender und funktional durchdachter Projektvorschlag mit einem verbindlichen TU-Angebot. In der Jurierung der zweiten Stufe zeigte sich, dass bei den eingereichten Projektbeiträgen aus Nutzersicht noch betriebliche und logistische Mängel bestanden und zudem einige Änderungen im Raumprogramm notwendig waren. In der Konsequenz liess das Beurteilungsgremium das Projekt Rotpol von der ARGE Halter AG und Eberle AG mit den Architekten E2A und Masswerk sowie Raymond Vogel Landschaften und das Projekt Stadthof Luzern von HRS Real Estate AG mit Boltshauser Architekten, Caruso St John Architects und Graber & Steiger vertiefen und weiterentwickeln. In der abschliessenden Jurierung wurde das Projekt Rotpol in den meisten Aspekten als das bessere beurteilt, und es gewann so das umfassende Wettbewerbsverfahren.
Identifikationsort Rotes Haus
Das Projekt Rotpol besetzt grossflächig die dreieckige Parzelle und schafft für das Rote Haus einen gut proportionierten Platz. Der Platz verbindet sich durch unterschiedlich breite Passagen mit den Strassen der Umgebung und erreicht so eine optimale Durchlässigkeit. Dadurch wird eine überzeugende öffentliche Raumabfolge mit einem zentralen Identifikationsort geschaffen. Es entstehen drei unterschiedlich geformte Gebäude, welche durch die horizontal geschichteten Nutzungen und Rückstaffelungen entlang den Strassen sowie die individuellen Silhouetten zu Gebäudetypen werden, die sich in Struktur und Ausdruck unterscheiden, aber trotzdem zu einer Einheit zusammenkommen. Die Fassaden haben unterschiedliche tektonische Ausbildungen, die wichtig für die differenzierten Gebäudeerscheinungen sind, aber gleichzeitig in ihrer Grammatik verwandt bleiben.
Die Abfolge der sorgfältig geformten Aussenräume vereint die unterschiedlichen Baukörper zu einer Einheit und einem eigenständigen Stück Stadt. Als Nahtstelle zur umliegenden Bebauung wird die Industriestrasse mit dem offenen Allmendlibach und den Bachgärten zu einer Wohnstrasse. Der Rothausplatz hat mit Bäumen und Wassersäulen eine hohe Aufenthaltsqualität. Die Industriegasse und die Geissensteingasse führen den offen gelegten Bach fort. Der infrastrukturell belegte Appellplatz sowie die ewl-Vorzone mit der Rückstaffelung der ewl-Gebäude ergänzen die Aussenräume und verankern die Überbauung im unmittelbaren Umfeld. Der zentrale Rothausplatz ist der Mehrwert, den diese grosse Überbauung dem Quartier und der Stadt zur Verfügung stellt.
Drei unterschiedliche Baukörper
Der grosse, polygonale ewl-Hauptbau ist ein Hofgebäude mit durchgehender Werkhalle im Erdgeschoss und prominentem Haupteingang, der durch den Rücksprung des Nachbargebäudes an der Industriestrasse gut sichtbar ist. Die betrieblichen Abläufe sind in der Anordnung der Logistikflächen, der Warenanlieferung und der Materialstellflächen für die Dienstfahrzeuge sinnvoll gelöst. Der industrielle Stützen- und Plattenbau verfügt über präzise gesetzte Kerne und grosse Spannweiten in der Werkhalle und bei den Besprechungsräumen. Dies widerspiegelt sich auch in der Fassade mit den grossen, horizontalen Öffnungen und den Hammerkopfstützen, welche die Verbindungen von Stützen und Decken akzentuieren.
Das ewl-Lagergebäude vereint die städtischen Dienstabteilungen in den Obergeschossen und ermöglicht optimale Arbeitsabläufe mit grossem Synergiepotenzial. Der Bau wird durch das Sheddach und die Rückstaffelungen charakterisiert und bezieht sich so auf die industriellen Bauten entlang den Gleisen. Die innere Tragstruktur wird auch hier nach aussen abgebildet und mit Holzfüllungen ausgefacht.
Das Dienstleistungs- und Wohngebäude ist das grösste und komplexeste Gebäude, das mit einer zweckmässigen und kompakten Anordnung der Nutzungen und grosszügigen Raumstrukturen überzeugt. Durch die gemeinsame Unterbringung der Blaulichtdienste in einem Gebäude werden räumliche Synergien geschaffen sowie eine enge Zusammenarbeit und Flexibilität bei zukünftigen Raumrochaden ermöglicht. Ein überhoher Sockel beinhaltet mit einer langen Front von Aus- und Einfahrten entlang der Fruttstrasse die Einstell- und Werkstatthallen der Blaulichtdienste. Deren Vorbereitungsräume sind im Galerie- und ersten Obergeschoss der Einstellhalle, die städtischen Dienste und die Leitstelle in den restlichen Obergeschossen angeordnet. Die Adresse dieser Nutzungen liegt prominent der Stadt zugewandt an der nördlichen Gebäudeecke. Der Büroriegel schirmt die dahinter liegenden Wohngebäude vom Lärm der Züge ab.
Der erhöhte Wohnhof, auf dem unteren Niveau als Gemeinschaftsterrasse und im oberen Bereich als begrünter Aussenbereich für die Wohnungen ausgebildet, ist eine wertvolle Ausweitung des öffentlichen Raums in dieser sehr dichten Bebauung. Die Treppen zum Wohnhof, die Wohnungseingänge sowie der Eingangsbereich des Pflegezentrums sind am Rothausplatz, an der Rothausgasse und Industriestrasse angeordnet.
Die Bewohnergeschosse von Viva Luzern sind mit der zweispännigen Anordnung der Bewohnerzimmer kompakt organisiert. Die Kleinwohnungen mit den lichtdurchfluteten und grosszügigen Wohn- und Essräumen und den dazugehörenden Balkonen überzeugen. Mit den Aufenthaltsräumen wird der Korridor aufgelockert und mit Tageslicht erfüllt. Das Café in der zweigeschossigen Lounge bietet einen Ausblick auf den Rothausplatz und verbindet das Erdgeschoss mit dem Hof. Die verschiedenen Aussenräume im Erdgeschoss, im Innenhof und auf dem Dach bieten Bewohnern und Besuchern verschiedene Verweilmöglichkeiten.
Die Genossenschaftswohnungen der abl sind als Dreispänner um die vertikalen Erschliessungen organisiert. Nach Südwesten ausgerichtete 2,5-, 3,5- und 4,5-Zimmer-Wohnungen erhalten mit durchgehenden Wohn-/Esszimmern und vorgelagerten Loggien eine optimale Orientierung. Der Wechsel auf ein Layout mit einer Rue Intérieure im fünften Obergeschoss erlaubt für alle den Zugang zum Dachgarten mit Pflanzgärten. Die Nutzungen zeigen sich mit einem deutlichen Materialwechsel in den Fassaden. Der Sockel hat eine Fügung von lichtgrauen Leichtbetonelementen mit profilierten Ausfachungen, die Wohnungsaufbauten sind mit einer fein gegliederten, dunkel roten Metallfassade mit Glaspaneelen verkleidet.
Das Rote Haus wird von drei kräftigen Baukörpern gefasst und bildet mit dem vorgelagerten öffentlichen Quartierplatz das Herzstück des neuen Ensembles. Die Nutzung als Quartierzentrum und Kulturlokal trägt dem Industriedenkmal angemessen Rechnung. Die wenigen Eingriffe ermöglichen eine denkmalpflegerische Restaurierung, die den industriellen Charakter weiterleben lässt.
Siegerprojekt in Weiterbearbeitung
Die Erstellungskosten bei Rotpol sind im Vergleich zu den anderen Projektbeiträgen relativ tief. Aufgrund der gewählten Gesamtkonzeption mit nur drei Gebäudekörpern entsteht ein effizientes Gesamtvolumen, das zusammen mit der wirtschaftlichen Bauweise vergleichsweise niedrige Kosten ergibt.
Das Projekt stellt gesamthaft einen präzise gedachten Beitrag dar, der sich seit der ersten Stufe stetig weiterentwickelt und optimiert hat. Auf die Kritik und Empfehlungen der Fachjury und der Nutzer wurde gewissenhaft eingegangen. Dadurch weist das Projekt Rotpol eine sehr hohe städtebauliche, aussenräumliche, architektonische, nutzungs- und erschliessungsspezifische Qualität und Planungsreife auf.
Architekten
E2A Architekten
Seit 2001 plant und realisiert die E2A Architekten AG private und öffentliche Bauten mit unterschiedlicher Nutzung und Grösse. Momentan beschäftigt das von Wim Eckert und Piet Eckert gegründete Büro rund 30 Mitarbeitende. Die Architekten von E2A verstehen ihre Arbeit als Interpretation zeitgenössischer Lebensbedingungen. Dabei hat sich Architektur mit der Vorstellung eines Ideals und der Realität auseinanderzusetzen. Aus dieser Dialektik wird eine spezifische architektonische Haltung entwickelt, die tragfähig ist und Bestand hat. Mit Wohn-, Büro- und öffentlichen Bauten befasst sich E2A kontinuierlich und erfolgreich im Rahmen von nationalen und internationalen Wettbewerben, aus denen viel beachtete Bauten entstanden. Bekannteste kürzlich realisierte Projekte sind: das Redaktions- und Verlagsgebäude für die «taz» (Berlin, 2018), die Diakonie Bethanien (Zürich, 2017), die Überbauung Europaallee Baufeld H (Zürich, 2016) und die Wohnbauten Escherpark (Zürich, 2015). Zurzeit im Bau befinden sich unter anderem der Wohnbau Geistlich-Areal (Schlieren, 2020), die Schulanlage Hofacker (Zürich, 2020) sowie die Wasserpolizei Zürich (2022). → www.e2a.ch
Masswerk Architekten
Die Masswerk Architekten AG wurde im Jahr 2003 gegründet und entstand aus der Zusammenlegung zweier renommierter Architekturbüros in Luzern: Baumann & Rigling und Bosshard & Steiger. 2008 eröffnete ein Zweigbüro in Zürich. Drei Partner bilden Aktionariat und Verwaltungsrat. Mit rund 30 Mitarbeitenden entwickelt und realisiert Masswerk nachhaltige und innovative Planungs- und Bauvorhaben zusammen mit Partnern und Auftraggebern. Stets liegt der Fokus auf entwerferisch qualitätsvollen Lösungen im Spannungsfeld von Städtebau, Architektur und Ökonomie. Zu den bedeutenderen Projekten der jüngeren Zeit zählen das 2015 vollendete Wohn- und Geschäftshaus Baufeld G an der Europaallee (ARGE mit Graber Pulver Architekten) und das Feuerwehrgebäude Eichenspes in Kriens bei Luzern (2016). In der Realisierung befinden sich das Vorhaben Sekundarstufenzentrum Burghalde in Baden sowie die beiden Alterszentren St. Anna in Luzern und St. Bernhard in Wettingen (alle mit Fertigstellung 2021). → www.masswerk.com
Raymond Vogel Landschaften
Seit zwanzig Jahren beschäftigt sich Raymond Vogel Landschaften AG (RVL) mit Landschaftsarchitektur und Städtebau, mit den Wechselwirkungen zwischen Menschen und deren Umwelt. RVL schafft in diesen Wechselwirkungen Standpunkte, und zwar durch das Beantworten von Fragen nach dem Wert des Aussenraums für Natur und Gesellschaft. Der Gestaltungsprozess bei RVL ist daher eine Auseinandersetzung mit Natur jenseits des Geschmacks. Das Verständnis für Prozesse wird entwickelt durch Zuhören, Recherchieren, Ordnen von Meinungen und Sichtweisen, In-Beziehung-Setzen von Körpern und Räumen sowie Konfigurieren. Gesucht wird eine Kohärenz, ein Sinnzusammenhang, der im Detail wie im grossen Ganzen zum Ausdruck kommt. Die Arbeit von RVL an der guten Gestaltung von Aussenräumen gründet unter anderem im Wissen und Verständnis darüber, dass bei jedem Bauwerk der Einklang von Natur und Mensch erstrebenswert ist. Die Natur in der Stadt ist das Leben zwischen Häusern als Teil eines noch grösseren Raumes. Aussenräume dürfen nicht allein Umgebung zum Haus sein. Unsere Umwelt soll über Generationen hinweg nachhaltig Lebensqualität bieten. Ausgewählte Projekte sind das Schulhaus Burghalde in Baden (zurzeit im Bau), die neue Landschaft zum Wasserkraftwerk in Hagneck am Bielersee (2010–2016) und der Erlenmattpark in Basel (2001–2016). → www.raymondvogel.ch