Nur Im Paar zu haben

Text und Fotos
Joris Jehle

Seit der Immobilienkrise der 1990er-Jahre stehen die Futura Towers im aargauischen Lupfig grösstenteils leer. Nun werden die zwei verwaisten Bürotürme von der Halter AG unter dem Namen Futurama neu positioniert. Auf rund 25 000 Quadratmetern Fläche soll in den nächsten Jahren ein Zentrum für Lehre, Forschung und produzierendes Gewerbe entstehen. Die schrittweise Transformation haucht dem Ort nicht nur neues Leben ein, auch das wachsende Gewerbegebiet rundum soll von Freizeit- und Gastronomieangeboten profitieren.

Die bestehenden Eingänge der Futura Towers sind dunkel und wenig einladend. Der verblichene Lack von Fenster- und Türrahmen gibt einen Hinweis auf die Erstellungszeit. Zukünftig sollen Besucher in verglasten Foyers an den Gebäudeecken begrüsst werden. Auch die asphal­tierten Aussenräume erhalten ein neues Aussehen.
Von Weitem zeigen sich die beiden Türme imposant und doch grau in grau. Die vielen kleinen Fenster verbinden sich zu einem filigranen Netz, das sich über die Fassade legt. Durch die geplante Begrünung zwischen den Gebäuden und eine neue Farbgestaltung könnte sich die Atmosphäre künftig stark verändern.
In der zwischen Turm 1 und Turm 2 gelegenen Halle produziert die Suhner Schweiz AG seit einigen Jahren unter anderem biegsame Kurbelwellen.
Im Gewerbegebiet der aargauischen Gemeinde Lupfig entstehen rund um die Futura Towers neue Gebäude. Darunter befindet sich auch das Green Datacenter, ein Hochleistungsrechenzentrum, das zu den grössten und modernsten der Schweiz gehört.
Keines der elf Obergeschosse wurde je komplett ausgebaut. An jeder der knapp 55 Meter langen Längsseiten liegen 54 Fenster, die kurioserweise alle mit eigenem Lamellenstoren und manueller Kurbel ausgestattet sind.
Die Futura Towers wurden in Skelettbauweise mit einem Stützenraster von sechs mal sechs Metern erstellt. Im Erschliessungskern befinden sich Aufzüge, Treppenhäuser und Sanitärräume. Die violette Lackierung überdauerte die letzten dreissig Jahre.

Riesig sind sie, die beiden Futura Towers, und irgendwie abweisend. Die Feinteiligkeit der Fassaden verliert sich aus der Ferne in deren schieren Grösse. Beim Näherkommen irritieren die engen Aussenräume. Hier können Fahrzeuge passieren, für Zu-Fuss-Gehende bleibt kaum Platz. Auch das Innere der Türme wirkt verloren. Seit ihrer Erstellung stehen die meisten der elf Ober- und drei Untergeschosse leer. Es wurden weder Böden verlegt noch eine Beleuchtung installiert. Nur auf einer Etage scheint Licht durch die Lücke einer Zwischenwand. Dahinter liegen einzelne Sitzungszimmer und ein Empfang, der wirkt, als wäre hier schon lange niemand mehr begrüsst worden.

Erstellt wurden die Futura Towers in Lupfig im Ensemble mit zwei weiteren Hochhäusern von 1990 bis 1992 auf der grünen Wiese. Mit dem nahen A1-Autobahnanschluss, dem geplanten A3-Anschluss sowie dem 1994 eröffneten S-Bahnhof Lupfig war das Grundstück schon damals bestens erschlossen. Der Boom der 1980er-Jahre hatte dem ehemaligen Eigentümer wohl Hoffnung gemacht – allein in den beiden Futura Towers realisierte er 25 000 Quadratmeter Nutzfläche. Doch dann kam der Schweizer Immobiliencrash von 1991. Die Bürotürme wurden zu einem grossen Teil nie vermietet und nie ausgebaut.

Der Eigentümer der Futura Towers war damals nicht der einzige, der sich verrechnet hatte. Die boomende Wirtschaft trieb die Immobilienpreise in die Höhe, die Spekulation grassierte. Regulatorische Neuerungen wie die Einführung des Pensionskassenobligatoriums 1985 und der wachsende Konkurrenzdruck unter den Banken bliesen der entstehenden Blase mehr und mehr Luft ein. Kredite wurden immer lockerer vergeben. Nachdem sich die Immobilienpreise innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt hatten, stiegen sie von 1987 bis 1990 noch weiter an.

Der New Yorker Börsencrash bremste 1987 auch den Schweizer Wirtschaftsboom. Um dessen Auswirkungen abzumildern und die Wirtschaft anzukurbeln, senkten die Schweizer Banken ihre Zinsen. Die Massnahme zeigte Wirkung – doch stärker als erhofft. Die Inflation stieg mas-siv. Immobilien galten als sichere Anlagen und gewannen in diesem schwierigen Umfeld bei Investoren zusätzlich an Beliebtheit. 1989 schliesslich versuchte die Nationalbank, die Teuerung abzuschwächen, indem sie ihren Leitzins schlagartig von 3,5 auf 6 Prozent erhöhte. Gleichzeitig erliess der Bund dringliche Massnahmen zur Eindämmung der Spekulation. Auch die Gegenmassnahmen schossen weit über ihr Ziel hinaus. Die Blase platzte, die Preise fielen, faule Kredite mussten abgeschrieben werden. Die Folge: Fast ein Drittel der Schweizer Banken schlossen ihre Türen, Baufirmen gingen Konkurs, private Ersparnisse wurden vernichtet. Die Leerstandsquote von Geschäftsliegenschaften stieg bis 1993 auf 12 Prozent an. Gerade erst fertiggestellt, zählten auch die Futura Towers in Lupfig dazu.

Lediglich auf einzelnen Geschossen sind mit Leichtbauwänden einige Sitzungszimmer abgetrennt. Der Ausbau wurde jedoch nie abgeschlossen.
Blick auf den verlassenen Empfang im ausgebauten Bereich eines Obergeschosses. Auch hier sind die Mieter schon vor Jahren wieder ausgezogen.
Ein Teil des 2. Untergeschosses von Turm 2 wurde im Frühling 2022 für Saeki Robotics umgebaut. Die doppelte Geschosshöhe und ein Warenlift boten ideale Voraussetzungen für die Nutzung als Produktionshalle.
Ein Mitarbeiter des Start-ups montiert einen 3D-Druckkopf an einem Standardindustrieroboter. Mit ihm werden Schalungen aus einem speziellen Kunststoff für die Bauindustrie gedruckt.
Die Betonschalungen von Saeki können in allen erdenklichen Formen innerhalb weniger Stunden vollautomatisch gedruckt werden. Das reduziert Kosten und Zeitaufwand im Baugewerbe.
In den drei Untergeschossen wurden von 1990 bis 1992 fast 300 Einstellplätze realisiert. Später liess man sie mit Stützen verstärken, damit die Lasten darüber besser getragen werden können.
1990er-Jahre-Look: Die Richtungspfeile auf dem Boden der Tiefgarage sind leuchtend gelb. Türen und Türrahmen im ganzen Haus tragen Violett.

Industriekanton Aargau

Noch heute stehen die Türme grösstenteils leer. Doch die gute Anbindung der vermeintlich peripheren Lage ist nicht unbemerkt geblieben. Rundum entstehen Bürogebäude, Gewerbebauten, Datenzentren. Diverse Firmen aus den Bereichen Produktion, Energie, Lebensmittel und Fahrzeugimport haben im Gewerbegebiet von Lupfig neue Standorte eröffnet oder bestehende erweitert.

Die Firma Suhner Schweiz AG produziert hier an ihrem Hauptsitz an der Industriestrasse seit Jahrzehnten unter anderem hoch präzise Maschinenteile für die Automobilund Flugzeugindustrie. Seit einigen Jahren mietet sie zusätzlich die beiden Erdgeschosse der Türme 1 und 2 und die grosse Produktionshalle dazwischen. Das Familienunternehmen in vierter Generation ist aufgrund der hohen Spezialisierung und der Präzision seiner Produkte weltweit tätig. Von den insgesamt rund 750 Mitarbeitenden sind 230 am Standort Lupfig tätig.

Damit ist Suhner das klassische Beispiel für ein Aargauer Unternehmen. Der Anteil von Beschäftigten im zweiten Sektor ist im Kanton nämlich mit 27 Prozent fast doppelt so hoch wie in der gesamten Schweiz (14 Prozent), und über 80 Prozent aller Beschäftigten sind in kleinen und mittleren Unternehmen angestellt, während es im ganzen Land 67 Prozent sind. Der Aargau ist also noch immer ein Industriekanton der kleinen und mittleren Betriebe. Die Schweizer Industrie hält sich hier seit der massiven Schrumpfung in den 1970er- und 1980er-Jahren relativ hartnäckig – sie hat ihre Nischen gefunden.

Nichtsdestotrotz sind die Beschäftigtenzahlen im Produktionssektor in allen Kantonen rückläufig. Der internationale Konkurrenz- und Preisdruck nimmt zu. Auch die Schweizer Industrie steht unter Innovationsdruck – sie muss bewährte Prozesse und Produkte überarbeiten oder grundlegend neu denken. Viele Firmen sind der Industrie 2.0 ​​zuzuordnen, weil die Produktionslinien weiterhin sehr viele menschliche Handgriffe benötigen. Erst teilweise ist die Serien­produktion vollständig durch Roboter automatisiert. Dies wird als dritte industrielle Revolution oder Industrie 3.0 bezeichnet. Inzwischen spricht man jedoch bereits von einer vierten und fünften industriellen Revolution: Industrie 4.0 ersetzt die übliche Massenproduktion gegen die automatisierte Herstellung von massgeschneiderten Einzelanfertigungen, beispielsweise mittels 3D-Druck. Mit Industrie 5.0 wird die verstärkte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter sowie von menschlicher und künstlicher Intelligenz angekündigt.

Aus Futura Towers wird Futurama

Im zweiten, nachträglich verstärkten Untergeschoss von Turm 2 ist seit Mai 2022 Saeki Robotics eingemietet, ein Unternehmen der Industrie 4.0, das mit einem riesigen Industrieroboter Betonschalungen für die Baubranche druckt. Das Start-up ist ein Spin-off der ETH Zürich und hat einen 3D-Druckkopf sowie die entsprechende Software entwickelt. Während etwa konvexe oder konkave Schalungen herkömmlicherweise in tagelanger Handarbeit aus Holz durch Zimmerleute gebaut werden müssen, druckt Saeki diese in nur wenigen Stunden aus einem speziellen Kunststoff. Jede erdenkliche Form ist druckbar – die Produktionszeit wird lediglich durch die Grösse der Schalung bestimmt. Teure Spezialanfertigungen wie Betontreppen oder gewölbte Betondecken werden dadurch um ein Vielfaches günstiger.

Der Einzug von Saeki in die Futura Towers ist auch bei Suhner nicht unbemerkt geblieben. Das Start-up hat das Industrieunternehmen dazu inspiriert, die Möglichkeiten des 3D-Metall-Drucks für seine Produkte auszuloten. Man spricht bereits über Kollaborations Möglichkeiten.

Das Zusammentreffen der beiden Firmen wurde möglich, weil die Halter AG die Futura Towers Anfang 2022 erwarb. Seitdem wird die Liegenschaft unter dem Produktnamen Futurama als Hub für Lehre, Forschung und produzie rendes Gewerbe neu positioniert. Andreas Campi, Geschäftsführer von Halter Entwicklungen, und Alexandra Stamou, Leiterin Innovation und Produktmanagement, erarbeiteten ein entsprechendes Konzept. Dem folgend werden die Gebäude in den nächsten Jahren Schritt für Schritt saniert und ausgebaut – abgestimmt auf die Bedürfnisse der neuen Mieterschaft.

Durch die massgeschneiderte Gebäudetransformation soll der Innovationscluster nachhaltig und organisch wachsen. Die Nähe zur Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg und zum Paul Scherrer Institut in Villigen dürfte sich dabei als vorteilhaft erweisen. Angestrebt wird ein lebendiger Hub der Industrien 4.0 und 5.0, ein Ort, wo sich Mitarbeitende unterschiedlicher Unternehmungen austauschen, Synergien entstehen und Innovation gelebt wird.

Die elf Obergeschosse in den in Skelettbauweise mit einem Stützenraster von sechs mal sechs Metern erstellten Gebäuden sollen durch Deckendurchbrüche über zwei oder drei Geschosse geöffnet und besser belichtet werden. Eine Neugestaltung der bestehenden zwei Eingänge zu grosszügigen Foyers wird die Adressbildung unterstützen. Für mehr Aufenthaltsqualität sorgt dann zudem ein begehbarer, vertikaler Grünraum zwischen den beiden Türmen. Und nicht zuletzt sollen die Aussenräume und die Zufahrt zum Gebäude aufgewertet werden. Während sie einst fürs Auto geplant wurden – die Tiefgarage erstreckt sich über drei Untergeschosse, Trottoirs im Aussenraum fehlen gänzlich –, werden sie nun für Zu-Fuss-Gehende angenehmer und sicherer. Die Gemeinde hat bereits erste Schritte unternommen, um die Aufenthaltsqualität im Gewerbegebiet entlang der öffentlichen Strassen durch Trottoirs und zusätzliche Bäume zu erhöhen.

Damit hat das Futurama beste Aussichten darauf, zum Zentrum des gesamten Gewerbegebiets zu werden. Ein attraktives Gastronomieangebot am Mittag und später auch am Abend wird die Transformation begleiten. So könnte der Dachgarten der Öffentlichkeit in Zukunft auch ausserhalb der Arbeitszeiten zur Verfügung stehen. Präsentationsflächen für die ansässigen Firmen, Co-Working-Spaces und Mikroapartments vom Typ MOVEment sollen für Leben und zusätzliche Nutzungsdiversität sorgen. Bis es so weit ist, können noch ein paar Jahre vergehen, doch im Erdgeschoss und im Keller wird bereits produziert.

Konzeptskizze Transformation Erdgeschoss: Die neuen grosszügigen Eingänge von Turm 1 und 2 werden intern verbunden.
Konzeptskizze Transformation 1. Obergeschoss: Vertikale Durchbrüche über zwei Geschosse bringen Licht ins Gebäude.
Konzeptskizze Transformation Regelgeschoss: Zwischen den beiden Türmen wird ein begrünter Aussenraum entstehen.
Konzeptskizze Transformation Dachgeschoss: Neben einer Fotovoltaikanlage gibt es Dachterrassen und Gastronomie.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2023 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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