Netzwerk der Zukunft

Die Art, wie Gebäude heute geplant und gebaut werden, ist eigentlich veraltet. Daran ändert auch die Nutzung digitaler Instrumente nichts. Halter hat darum die Plattform The Branch ins Leben gerufen, die die Transformation des Prozesses hin zu einer interdisziplinären und transparenten Zusammenarbeit aller Beteiligten beschleunigen soll. Die Initiative wird von einem Verein mit Mitgliedern aus allen Bereichen der Bauund Immobilienbranche getragen. Wir trafen einen der Vorstände: Markus Mettler, CEO der Halter AG.

Das Co-Working von The Branch befindet sich im Erdgeschoss der Schlieremer Büroliegenschaft JED.

Im Besprechungszimmer wabert Zigarettenrauch, eine Sekretärin protokolliert das Gespräch zwischen Bauherrschaft und Architekt, der Tisch ist bedeckt mit Plänen, auf denen mit Rotstift Anpassungen eingezeichnet sind. Im Raum daneben beugen Zeichner ihre Köpfe über die Arbeitsplatte und ziehen mit Tuschschreibern Linien aufs Transparentpapier, während aus dem nahen Reprografie-Raum Ammoniakgeruch von der Lichtpausmaschine dringt – so sah der Alltag in einem Architekturbüro um 1960 aus. Eine Zeit, in der sich der Planungsprozess für ein grösseres Bauwerk aufgrund der technischen Möglichkeiten über Jahre hinweg zog. Waren damals die Ausführungspläne gezeichnet, wurden die Arbeiten in Konkurrenz ausgeschrieben, die Kosten ermittelt und mithilfe eines Rechenschiebers addiert. Danach erfolgte die Vergabe.

Sechzig Jahre später wird an Sitzungen kaum mehr geraucht, nutzen die Architekten leistungsfähige Zeichnungsprogramme, lässt man die Pläne plotten und die Baukosten digital ermitteln. Trotzdem dauert der Planungsprozess noch immer Jahre, die Arbeiten werden noch immer erst nach Abschluss der Planung in Konkurrenz ausgeschrieben, und jedes Bauwerk ist in Bezug auf das Engineering noch immer ein Prototyp. Für Markus Mettler ein Anachronismus. Der 51-jährige ETH-Ingenieur mit einem Nachdiplom in Betriebswirtschaft ist seit 2010 CEO der Halter AG. Wir treffen ihn in seinem gerade bezogenen Büro im Business-Hub JED in Schlieren. Auch der neue Halter-Hauptsitz und sein Angebot sind für Mettler ein Schritt in Richtung eines zukunftsorientierten digitalen Entwicklungs-, Planungs- und Bauprozesses. Dieser soll die heute üblichen ineffizienten Abläufe möglichst bald ersetzen.

Komplex: Warum ist die heutige Art, Gebäude zu planen, trotz digitaler Hilfsmittel ein Auslaufmodell?

Markus Mettler: Das seit Jahrzehnten praktizierte Leistungsmodell Design-Bid-Build – planen, in Konkurrenz ausschreiben, realisieren – ist ein sogenanntes Wasserfallmodell, das sich als Abfolge von sequenziell angeordneten, in sich abgeschlossenen Projektphasen definiert. Aufgrund der Nichtverfügbarkeit digitaler Kommunikationstechnologien und Interaktionsmethoden in Kombination mit intelligenten Datenmodellen war dieser Ansatz in der Vergangenheit alternativlos.

Was macht das Wasserfallmodell denn konkret so schlecht?

Bei diesem Modell werden die erarbeiteten Ergebnisse aus einer Phase als Vorgaben und Ziele für die Folgephase verwendet, ohne dass die Wertschöpfung genutzt werden kann. Die gleichen Planungselemente werden für jedes Projekt immer wieder aufs Neue «erfunden». Da geht kontinuierlich Know-how verloren oder eben sprichwörtlich «den Bach runter». Gleichzeitig wurde die Bauindustrie durch das Wasserfallmodell zweigeteilt, nämlich in Planungs- und Ausführungsbranche. Die fehlende Interdisziplinarität und Interaktion zwischen diesen beiden Bereichen ist verantwortlich für die ausbleibende Innovationskraft unseres Wirtschaftszweigs. Charakteristisch für das bestehende Leistungsmodell ist zudem, dass es in weiten Teilen gleichzeitig Bestell- und Herstellungsprozess ist. Dadurch erfolgt die Bestellung durch den Bauherrn nach dem Prinzip «try and error» parallel zum Planungs- und Fertigungsprozess mit der Folge, dass grosse Ressourcen verbraucht und viele Leerläufe produziert werden und trotzdem in vielen Fällen falsch bestellt wird oder beträchtlich mehr als notwendig.

Wieso ändert kaum jemand etwas daran?

Das System ist fest verankert in der DNA der Branche und damit auch in ihren Normen und Gesetzen. Es ist menschlich, an vertrauten Modellen festzuhalten, zudem herrscht seit der Jahrtausendwende ein Bauboom. Es bestand einfach kein wirtschaftlicher Druck zur Produktivitätssteigerung. Aber das ändert sich nun. Ausdruck davon sind etwa das vor zwei Jahren von der Wettbewerbskommission verbotene Honorarmodell für weitgehend normierte Planerleistungen, das sich statt auf die erarbeiteten Mehrwerte auf die Höhe der Baukosten abstützt, oder das auf einen Kostenwettbewerb ausgerichtete Submissionswesen nach SIA 118, das ausführenden Unternehmen kaum Spielraum für eigene Lösungsbeiträge bietet. Mit der auf Anfang 2021 in Kraft getretenen Revision des öffentlichen Beschaffungsrechts haben Bundesrat und Parlament erfreulicherweise ein klares Zeichen gesetzt – zugunsten von Innovation, Nachhaltigkeit und Qualität.

Komplex: Erste Schritte hin zu neuen Arbeitsweisen hat Halter beispielsweise mit der Beteiligung an der auf Architekturvisualisierungen spezialisierten Raumgleiter AG, der Umstellung interner Prozesse oder der schweizweit erstmaligen Durchführung eines digitalen Architekturwettbewerbs getan. Bis zum Ziel ist aber noch ein Stück Weg zu gehen. Denn der neue Prozess, der Markus Mettler vorschwebt, hat nichts mehr mit demjenigen aus dem vordigitalen Zeitalter zu tun. Die lineare Planung mit unzähligen Korrekturschlaufen soll einer digitalisierten, kooperativen und transparenten Form der Zusammenarbeit Platz machen. Die neuen Räume im JED in Schlieren sind genau darauf ausgerichtet. Dort gibt es nicht nur Büros für die Mitarbeitenden der Halter AG und deren Schwesterfirmen, sondern etwa auch das Collab von The Branch mit Co-Working-Flächen, die von Fremdfirmen gemietet werden können. Sitzungsräume und Big Rooms stehen allen zur Verfügung. Diese haben eine Fläche von je 120 Quadratmetern und sind mit Grossbildschirmen ausgestattet. Hier sollen sich interdisziplinäre Teams zurückziehen können, um in kurzer Zeit neue Gebäude bis hin zur Baueingabereife zu entwickeln.

Im Glas, welches das Co-Working vom öffentlichen Foyer abtrennt, spiegelt sich eine Lichtinstallation.

Gibt es ein Vorbild dafür, wie die Planungs- und Baubranche künftig arbeiten soll?

Ich ziehe dazu gerne das Beispiel von einem Restaurantbesuch heran. Wenn ich entschieden habe, auswärts zu essen, erhalte ich im Restaurant eine Menükarte mit verbindlichen Preisen – ganz nach dem Motto «What you see is what you get». Wir können das auch beim Planen und Bauen machen – wobei die Architektur von morgen trotzdem individuell bleiben soll. Heute ist es möglich, die Optik eines Gebäudes am Computer innerhalb kürzester Zeit fast wie in echt zu gestalten. Dafür muss der Bauherr oder eine Jury beim Start der Entwicklungsarbeit – also bei der Bestellung – die städtebaulichen Vorgaben und architektonischen Rahmenbedingungen liefern. Und natürlich braucht es einige «harte» Eckwerte wie die geplante Nutzung, die gewünschte nutzbare Fläche und deren Eigenschaften.

Wie kann bei einem Gebäude das Preisschild am Anfang des Projekts ermittelt werden?

Aus laufenden und realisierten Projekten verfügen wir über unzählige Daten und Erfahrungen zu Baukosten. Anhand des Nutzungsprofils, der Flächendisposition, des gewählten Architektur- und Konstruktionskonzepts und des gewünschten Ausbaustandards lässt sich ein sehr präziser Kosten-Benchmark ermitteln. Zukünftig werden dem Besteller diese Daten im Sinne von «Best Practice» zur Verfügung gestellt. Ein Bauherr will nicht wissen, was ein Projekt kosten könnte. Er hat das Anrecht darauf, zu erfahren, was der Kosten-Benchmark ist – unter der Bedingung, dass seine Nutzungsbedürfnisse und die gewünschten Eigenschaften mit einem effektiven Prozess in einem effizienten Projekt umgesetzt werden. Zu diesem Zweck will Halter Bauherren mit einem Investitionsbedürfnis mit dem Digital Cost Challanger (DCC) ein mächtiges Werkzeug für den Bestellprozess zur Verfügung stellen.

Die heute üblichen Überarbeitungsrunden entfallen?

Ja, hier braucht es ein massives Umdenken. Denn mit dem Modell Design-Build (es steht für bid, design / build und im Gegensatz zu design, bid, build) kann die Bauherrschaft schon beim Start exakt definieren, was und mit welchem Standard sie bauen will, welche Punkte ihr wichtig sind und wo sie den Planern und Ausführenden freie Hand für Innovation lässt – immer, und das ist entscheidend, mit dem Wissen um die dazugehörigen Kosten. Durch diese fundamentalen Entscheidungsgrundlagen beschleunigt sich der Planungs- und Realisierungsprozess massiv. Klar, es braucht dann an jedem Ende des Tisches Leute, die entscheiden dürfen und wollen.

Führt das nicht zu uniformen Gebäuden?

Jedes Gebäude wird auch künftig seinen individuellen Charakter behalten. Die Architekten haben die Aufgabe, diesen zu gestalten. Zu Beginn muss einfach festgelegt werden, was beim jeweiligen Projekt wichtig ist. Das gilt für die Architektur ebenso wie für die CO2-Bilanz oder die Nachhaltigkeit. Ansonsten sollen Planer und Ausführende freie Hand haben.

Die heute für die Preisbildung wichtige Ausschreibungsphase vor Baubeginn entfällt?

Auch im neuen Modell spielt der Wettbewerb, aber zu einem viel früheren Zeitpunkt und in verschiedenen Dimensionen. Ausschreibungen erfolgen früh und funktional. Die Unternehmer oder ganze Werkgruppen müssen dann zeigen, wie sie die Aufgabe innovativ, nachhaltig und zu einem vernünftigen Preis lösen. Das Rennen macht also nicht mehr der günstigste Anbieter, sondern derjenige mit der intelligentesten Lösung.

Komplex: Kernelement der neuen Prozesse ist ein konsequenter Lebenszyklusansatz. Das Denken und Handeln in Wirtschaftskreisläufen beschränkt sich jedoch nicht nur auf Produkte und Materialien, sondern wird auch auf geistige Erzeugnisse wie Architektur und Engineering-Lösungen angewendet. Erkenntnisse aus dem Betrieb von realisierten Projekten ermöglichen den kontinuierlichen Aufbau von Business-Intelligenz und deren Einbindung in die Konzeption von neuen Projekten. Gemäss Markus Mettler ist die neue Form der Planung und Vergabe von Bauleistungen nur erreichbar, wenn möglichst viele Beteiligte aus dem gesamten Ecosystem mitziehen: von den Bauherren, Entwicklern, Architekten, ausführenden Unternehmen und Ingenieuren bis hin zu den Facility-Managern, Vermarktern und Baujuristen. Zu diesem Zweck hat Halter 2020 die Dialog- und Kollaborationsplattform The Branch ins Leben gerufen. Hier soll der Wandel in Richtung digitaler Prozesse vorangetrieben werden. Trägerschaft ist der Verein Branch Do Tank. In dessen Vorstand sind Vertreter aus allen Branchen des Immobilienlebenszyklus vertreten.

Warum braucht es einen Verein, um das Thema voranzutreiben?

Die Erfahrung zeigt, dass die üblichen Positionspapiere wenig bringen. Ein Verein hingegen ist verbindlicher, ein starkes Signal nach aussen und macht klar, dass viele Gleichgesinnte ein gemeinsames Ziel verfolgen. In unserem Fall heisst das: neue Impulse für integrierte Prozesse und eine verbesserte Zusammenarbeit in der Baubranche.

Gibt es im Ausland Vorbilder für den neuen Prozess, wie er dem Do Tank von The Branch vorschwebt?

Nein. Deshalb ist die Sache auch eine riesige Chance für die Schweiz. Bauplanung war ja bis anhin kein Exportgut. Doch wenn wir den Wandel schaffen, gehen wir hierzulande als Pioniere voran und können unser Wissen schliesslich ins Ausland verkaufen. Denn dort hat man genau dieselben Probleme.

Komplex: Bis der Design-Build-Prozess so weit etabliert ist, dass er das Wasserfallmodell weitgehend ersetzt, dauert es laut Mettlers Prognose noch fünf bis sechs Jahre. Die interdisziplinäre Entwicklung neuer Gebäude in den Big Rooms des JED wird aber ab sofort Realität. Sie ist der Startpunkt eines kontinuierlichen Innovationsprozesses – ausgerichtet auf Ressourcen Effizienz hinsichtlich der Energie- und Klimapolitik, Produktivitätssteigerungen und gesellschaftlich abgestützten Lösungen. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahrzehnten wird der Wandel der Technologien, Prozesse und Geschäftsmodelle in Zukunft stetig sein. Die grösste Wirkung hat dies mittel- und langfristig auf die Baustellen. Denn durch die enge Zusammenarbeit in frühen Planungsphasen lassen sich viele Punkte klären, die heute erst kurz vor Baubeginn ein Thema sind. Etwa die Baulogistik oder die Ausführung des Gebäudes. Der Einsatz bewährter Konstruktionen wird es ermöglichen, vermehrt Bauteile vollautomatisiert vorzuproduzieren und roboterisiert zu montieren. Mettler geht davon aus, dass mittelfristig eine Reduktion von Baukosten und Ausführungszeiten um 40 Prozent und mehr möglich ist – bei deutlich gesteigerter Qualität. In Kombination mit der sehr kurzen Planungszeit würde sich so beispielsweise die Realisierungsdauer eines Bürogebäudes von der ersten Idee bis zum Bezug von heute mindestens vier Jahren auf unter zwei verkürzen.

Alle Arbeitsplätze sind zweckmässig ausgestattet und können über eine digitale Plattform gebucht werden. Für vertrauliche Gespräche oder Telefonate stehen verglaste Kabinen zur Verfügung.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2021 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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