«Kein Klimaschutz ohne Disruption»
«Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.»
Die Prozess-, Vertrags- und Vergütungslandschaft muss sich grundlegend verändern
Quantensprünge bezüglich Effizienz, Effektivität und Innovation sind nötig und sollen entsprechend gefördert und gefordert werden. Hierzu müssen die richtigen Anreize geschaffen und ein «alignment of interest» – also ein Abstimmen der Interessen aller Beteiligten – erreicht werden. Dies bedingt integrierte Prozesse: die früh- und rechtzeitige Integration aller relevanten Beteiligten sowie ergebnisorientierte respektive performanceorientierte und -fördernde Vertrags- und Vergütungsmodelle. Diese entscheidenden Eigenschaften bietet das konventionelle Vertrags- und Vergütungsmodell nach SIA, das die Prozesslandschaft in der Schweizer Immobilien- und Baubranche noch immer (zu) stark prägt, nicht. Das aufwandbasierte und baukosten-abhängige Vergütungsmodell (je höher der Aufwand beziehungsweise die Baukosten, umso höher ist die Vergütung) schafft falsche Anreize. Noch dazu führt es zu nicht integraler, fragmentierter und konfliktfördernder Zusammenarbeit, hemmt Innovationen und die Durchgängigkeit von Daten, Informationen und Know-how und bedingt längere Prozesse sowie höhere Kosten. Oder deutlicher formuliert: Es führt zu einem ineffizienten Einsatz von (Personal- und Kapital-)Ressourcen sowie zu nicht optimierten Ergebnissen. Die dadurch geförderte Ressourcenverschwendung steht diametral zum eingangs erwähnten Ziel der Klimaneutralität.
Der eigentliche Auftraggeber zur Effizenzsteigerung ist die Gesellschaft
Zu oft noch wird – teils aus Angst, Bequemlichkeit oder Partikularinteressen – nach veralteten Mustern vorgegangen, und zwar bezüglich Projektabwicklung, Beschaffung von Leistungen respektive Projektpartnern sowie der Zusammenarbeitsform. Am Ende steht eine Vergütung, die generell zu sehr aufwand- und zu wenig ergebnisorientiert ist. Man könnte die Abläufe mit dem Fliegen vergleichen: Wer einen Flug bucht, zahlt lediglich die (sichere) Reise zum Zielort, und zwar unabhängig davon, ob der Flieger dort direkt landen kann, Schlaufen drehen oder vielleicht sogar unvorhergesehen irgendwo anders zwischenlanden muss. Die aus Sicht des Passagiers unnötige (und überdies zeit- und nervenraubende) längere Flugdauer kann der Leistungserbringer – in diesem Fall die Fluggesellschaft – nicht verrechnen. Genauso ist es beim Sport, bei dem eine Siegerprämie für den Turnier-, Cup- oder Meisterschaftssieg vergeben wird und nicht für die Anzahl geleisteter Trainingsstunden. So muss es auch in unserer Branche sein: Nicht der Aufwand und die allfälligen Schlaufen sollen vergütet werden, sondern einzig und allein das (optimale) Resultat. Damit werden alle Beteiligten gleichermassen incentiviert, erreichen und einen Beitrag dafür zu leisten, die von der Gesellschaft geforderten, weitestgehend gesetzlich verankerten Ergebnisse zu erbringen. Der eigentliche Auftraggeber hinsichtlich Effizienzsteigerung und Disruption ist die Gesellschaft und nicht, wie oft in Medien und Politik dargestellt, angeblich renditebesessene Investoren, Bauherren und Entwickler. Diese übernehmen nur die Aufgabe der Exekutive für die dezidierte Vorgabe. Die gängige Argumentation, dass optimale Resultate nur basierend auf dem konventionellen Phasenmodell und damit verbunden über eine aufwand- und kostenabhängige Vergütung erzielt werden können, ist nicht mehr als das Bestreben einer Interessengruppe, über Protektionismus und Lobbyismus ein veraltetes Geschäfts- und Honorarmodell aufrechtzuerhalten. Der Schaden, der dadurch entsteht, ist immens und – neben den langwierigen Bewilligungsprozessen und Interessenkonflikten im Normen- und Gesetzeswerk – einer der grössten Entschleuniger hinsichtlich der geforderten Klimaneutralität bis 2050.
Konkret bedeutet dies, dass auch die aufwandorientierten Honorarverträge und Vergütungsmodelle grundsätzlich neu gedacht und performancebasiert sowie ergebnisorientiert(er) formuliert werden müssen. Integrierter Bestandteil dabei ist, dass der Leistungskatalog präziser und projektspezifischer geregelt wird (Thema Bestellerkompetenz). Dadurch können der Aufwand und entsprechend auch die Kosten durch alle Beteiligten sehr präzise abgeschätzt und optimiert werden. Ziel muss es sein, die vom Besteller geforderten respektive durch den Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen zeitlich und kostenmässig genau(er) quantifizieren zu können. Leistungen, die nur eventuell oder allenfalls mehrfach zu erbringen sind, werden nicht mehr in das Basishonorar eingerechnet, sondern – sollten sie denn tatsächlich anfallen – als Zusatzleistung vergütet (weg vom All-inclusive-Prinzip, hin zu einem À-la-carte- oder auch Verbraucherprinzip).
Zudem ist das heute etablierte Malussystem, bei dem mangelhafte Leistungen des Auftragnehmers von dessen Vergütung abgezogen werden, psychologisch schwierig und führt faktisch immer zu Konflikten und schlechter Stimmung – und zwar unabhängig davon, ob die Reduktion legitimiert ist oder nicht. Dies, weil sich der Auftragnehmer auf das ursprünglich definierte (Maximal-)Honorar eingestellt hat und viel verlieren kann. Motivierender und auch partnerschaftlicher sind Incentivierungsmodelle, bei denen der Auftragnehmer bei vertragsgemässer Leistungserbringung etwas zusätzlich gewinnen kann. Hier ist es wichtig, dass die zu erreichenden Ziele für beide Partner verständlich und messbar sind.
Ausgewiesene Kompetenz und Spitzenleistungen sind gefragt
Entscheidend ist, dass – um den optimalen Einsatz der Ressourcen zu erreichen – in jeder Phase durch alle Projektpartner Spitzenleistungen erbracht werden. Dafür können bei den beiden (Haupt-)Disziplinen Design und Werkplanung unter Umständen zwei unterschiedliche Partner zum Einsatz kommen – zwei Partner, die jeweils in einer der beiden Kompetenzen spezialisiert und «best in class» sind. Wichtig ist dabei natürlich, dass die DNA des Projekts sowie seine qualitäts- und identitätsstiftenden Elemente über geeignete qualitätssichernde Prozesse garantiert werden.
Es ist höchste Zeit, dass die Branche sich öffnet hinsichtlich der Alternativen zum etablierten Allroundermodell, bei dem Design und Werkplanung immer aus einer Hand kommen. Dies muss unabhängig davon geschehen, ob der Auftragnehmer qualifiziert ist oder nicht. Es gibt viele hoch kompetente Player, die auch weiterhin Design und Werkplanung auf höchstem Niveau erbringen können, wollen und sollen (also als Allrounder agieren), doch gibt es mindestens genauso viele Player, die in der einen oder anderen Disziplin die geforderte Spitzenleistung nicht erbringen können oder wollen.
Wir müssen eingefahrene Muster und Prozesse verlassen, uns vertrauen und getrauen, Neues zu tun – auch wenn es punktuell und zwischenzeitlich wehtut. Wir müssen als Branche gemeinsam die Komfortzone der letzten Jahrzehnte verlassen, denn nur so werden wir die von der Gesellschaft geforderten und unserer Umwelt geschuldeten Ergebnisse erreichen können.