Integrated Project Delivery über alles?
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Die Bau- und Immobilienbranche sucht händeringend nach neuen Projektabwicklungsmodellen. Vom Konfliktpotenzial der herkömmlichen fragmentierten Modelle kann inzwischen jeder mindestens ein Lied singen. Bei den Beteiligten herrscht Konsens darüber, dass die Integration von Planung und Ausführung in einer frühen Phase etliche Vorteile mit sich bringt. In der Bestenliste neuer integrierter Ansätze der Projektabwicklung steht die Integrated Project Delivery (IPD) ganz weit oben. Doch vor einer Beurteilung dieses Verfahrens lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von IPD hinsichtlich einer Adaption auf die hiesige Projektlandschaft.
IPD wurde auf einer britischen Ölbohrinsel in der Nordsee geboren
Die Bau- und Immobilienbranche sucht händeringend nach neuen Projektabwicklungsmodellen. Vom Konfliktpotenzial der herkömmlichen fragmentierten Modelle kann inzwischen jeder mindestens ein Lied singen. Bei den Beteiligten herrscht Konsens darüber, dass die Integration von Planung und Ausführung in einer frühen Phase etliche Vorteile mit sich bringt. In der Bestenliste neuer integrierter Ansätze der Projektabwicklung steht die Integrated Project Delivery (IPD) ganz weit oben. Doch vor einer Beurteilung dieses Verfahrens lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von IPD hinsichtlich einer Adaption auf die hiesige Projektlandschaft. Die Geburtsstunde von IPD liegt in den frühen 1990er-Jahren. Damals wollte das Mineralölunternehmen British Petroleum (BP) eine Bohrinsel in der Nordsee bauen. Als BP feststellte, dass es mit dem klassischen Beschaffungs- und Abwicklungsmodell massiv über seinem Budget lag, suchte es nach einem neuenModell. BP war sich bewusst, dass es die Zusammenarbeit mit den ausführenden Unternehmen intensivieren müsste und dies einen radikalen Mentalitätswandel bedingen würde. Um die ambitionierten Kostenziele zu erreichen, wurde eine Projektallianz gegründet, die eine echte Kooperation zwischen allen Akteuren sicherstellen sollte.
Durch ein Bonus-Malus-System und die Aufteilung sämtlicher Projektrisiken waren alle Beteiligten nun vertraglich miteinander verbunden. Zudem wurde die Vergütung der Unternehmer anhand des Projekterfolgs bemessen, was dazu führte, dass BP die angestrebten Kosten nochmals markant unterschreiten und zusätzlich die Realisierungsdauer um sechs Monate reduzieren konnte. In Australien und Neuseeland folgten weitere hochkomplexe Infrastrukturprojekte, bei denen das Modell eingesetzt wurde. Im Jahr 2007 lancierte das American Institute of Architects (AIA) IPD schliesslich in den USA und definierte seine zentralen Prinzipien, die auf Gleichberechtigung, Einstimmigkeit, solidarischer Haftung und einer gemeinsamen Projektkultur mit Werten wie Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz und Kooperationsbereitschaft beruhen.
IPD steht so für ein Projektabwicklungsmodell, das die integrierte Bestellung, Planung und Ausführung eines Bauwerks unter der gemeinsamen Verantwortung eines Projektteams im Sinne einer Allianz mit den wichtigsten am Projekt beteiligten Unternehmungen darstellt. Dabei ist die Vermeidung von Interessenkonflikten bei komplexen und risikobehafteten Grossprojekten das oberste Ziel. Zur Sicherstellung sieht IPD eine weitgehende finanzielle, fachliche und leitende Mitwirkung des Bauherrn im Projektteam vor. Gleichzeitig sind die Projektbeteiligten untereinander durch einen Mehrparteienvertrag, einen Allianzvertrag oder eine eigens für das Projekt gegründete einfache Gesellschaft zur Erreichung der Projektanforderungen und Zielkosten verpflichtet.
Erwähnenswert ist dabei auch das Vergütungssystem. Dieses basiert auf einer reinen Personal- und Materialkostenbasis und einer Gewinnbeteiligung bei Zielerreichung und Kostenunterschreitung. Im Sinne des Solidaritätsprinzips gilt dabei die Logik, dass alle Projektbeteiligten gemeinsam gewinnen oder verlieren. Das Vergütungssystem von IPD-Projekten in Übersee sieht eine dreistufige Vergütung vor, die jeweils unter Vorbehalt der Erreichung der gemeinsam definierten Projektziele steht: Zuerst werden die Lohn- und Materialkosten vergütet, in einem zweiten Schritt die Overhead-Kosten und zuletzt der Gewinn.
Der schnelle Aufstieg zum Branchenliebling
Mit der steigenden internationalen Bekanntheit des IPD-Modells und nicht zuletzt durch seine Anwendung in Europa wurde und wird das Modell unter Fachleuten in der Schweiz nun auch für weniger komplexe Projekte im Tief- und Hochbau diskutiert. Derzeit steigt die Anzahl von Veranstaltungen, an denen IPD und Projekte mit IPD-Charakter vorgestellt werden und Bildungsinstitutionen der Bau- und Immobilienbranche, Planer und Unternehmer ihre ersten Erfahrungen mit IPD schildern.
Dabei wird IPD gerne als mögliches Allheilmittel dargestellt. Doch ist es das auch? Gegenwärtig gibt es in der Schweiz eine Handvoll Projekte, die mit gewissen IPD-Elementen und -Prinzipien geplant oder abgewickelt werden. Dabei zeigt sich jedoch, dass die Erstellung und vielmehr der Abschluss eines Mehrparteien- oder Allianzvertrags oder die Gründung einer projektspezifischen, einfachen Gesellschaft eine grosse Herausforderung darstellen. So wurden bei den bisherigen Projekten aus Gründen der Komplexität und des immensen Initialaufwands weitgehend Zweiparteienverträge mit IPD-Charakter abgeschlossen. Beim Vergütungssystem werden hierzulande unterschiedliche Varianten gewählt. In der Regel werden den Unternehmern über die Lohn- und Materialkosten hinaus auch Overhead-Kosten vergütet, und es gibt sogar einen Vorabbezug von Gewinnanteilen. Dementsprechend reduziert sich der gemeinsame «Topf», aus welchem vor Gewinnverteilung allfällige Kostenüberschreitungen sowie Aufwendungen für Mängel und Schäden während der Gewährleistungsfrist zu decken sind.
IPD eignet sich nicht für jeden Bauherrn
In der Schweiz werden jährlich etwa 33 Milliarden Franken im Hochbau investiert. An erster Stelle stehen dabei die Mehrfamilienhäuser mit einem Volumen von 14 Milliarden Franken. Auf Platz zwei liegen die Einfamilienhäuser mit einem Volumen von rund 4,5 Milliarden Franken. Die durchschnittliche Projektgrösse beträgt über sämtliche rund 21 000 Hochbauprojekte betrachtet etwa 1,6 Millionen Franken. Im Bereich Tiefbau sowie im Umbau sind die durchschnittlichen Projektgrössen mit 490 000 Franken beziehungsweise 125 000 Franken noch tiefer. Prominente Generationenprojekte wie Cargo Sous Terrain, eine weitere Röhre für den Gotthard-Strassentunnel oder der Neubau des Universitätsspitals Zürich haben Einmaligkeitscharakter und sind zudem jahrelangen, auch politischen Unsicherheiten ausgesetzt. Die Mehrheit der Projekte hierzulande liegt also weit entfernt von solch hochpreisigen und hochkomplexen Grossprojekten, für die das IPD-Modell auf internationaler Bühne ursprünglich entwickelt wurde.
Neben der Frage, ob ein Projekt für IPD geeignet ist, gilt es für jeden Bauherrn abzuwägen, ob er selbst überhaupt bereit und in der Lage ist, ein komplexes Vorhaben zu führen, und inwieweit dies auch seinen Interessen und Zielsetzungen entspricht. Der Wechsel von der Rolle des Bestellers zum Mitglied und Steuerer eines Projektteams setzt einerseits eine sehr hohe fachliche Kompetenz voraus – weil der Bauherr die Entscheide über die Art und Weise der Ausführung mitträgt und damit Mitverantwortung übernimmt –, andererseits fordert IPD auch ein beträchtliches zeitliches Engagement über den gesamten Projektverlauf hinweg.
Die Projektbeteiligten sind durch die Vertragsmodalitäten incentiviert, die Zielkosten zu unterschreiten. Ist aber der «Topf» aufgebraucht, verbleiben mögliche restliche Kostenüberschreitungen beim Bauherrn. Damit rückt auch die Frage ins Zentrum, wie die Zielkosten zu Projektbeginn definiert werden sollen. Da dies ohne Preiswettbewerb erfolgt, muss der Bauherr in der Lage sein, die Kosten zu beurteilen – entweder aus eigener Markterfahrung oder aufgrund der für ihn zugänglichen Benchmarks.
Wertvolle Ansätze für eine gesamtheitliche Herangehensweise
Integrated Project Delivery kann heute als ein wichtiger Impulsgeber für die Neuorientierung der Projektabwicklungslandschaft in der Schweizer Bauindustrie gesehen werden. Das Projektabwicklungsmodell bietet insbesondere hinsichtlich einer neuen Projektteamkultur und einer ganzheitlichen Herangehensweise wertvolle Ansätze.
Die anspruchsvolle Vertragsstruktur und ein Vergütungssystem, das die Partner erst mit einer grossen Zeitverzögerung am Gewinn teilhaben lässt, sollten bei einer Adaption auf durchschnittlich komplexe Projekte jedoch kritisch geprüft werden. Der Markt kennt bereits unternehmerische, integrierte Abwicklungsmodelle wie Design-Build, die eine ähnliche ganzheitliche und partnerschaftliche Herangehensweise ermöglichen, aber hinsichtlich marktorientierter Preisgestaltung und Risikomanagement den Ansprüchen vieler Bauherren wohl eher gerecht werden dürften.