In Falten gelegt
Das Flon-Quartier in Lausanne ist Zentrum und Enklave zugleich. Die im Bett des gleichnamigen, unterirdisch verlaufenden Flusses gelegene ehemalige Industriezone hat in den letzten 30 Jahren eine klassische Gentrifizierung erfahren: Aus ungenutzten Produktionsstätten wurden zuerst Künstlerateliers und alternative Kulturzentren, später dann Büros, Geschäfte und bei der Bevölkerung beliebte Freizeiteinrichtungen. Die vor über zehn Jahren von der Eigentümerin Mobimo angestossene Metamorphose nähert sich nun ihrem Ende – mit der Neubelebung des Westteils von Flon, in dem Ende 2019 das Design-Hotel Moxy seine Pforten öffnete.
Localarchitecture ist seit 2006 in Flon ansässig und hat dessen Entwicklung aus nächster Nähe miterlebt. Durch den kürzlich vollendeten Bau des Hotels Moxy Lausanne City kann das Büro nun für sich in Anspruch nehmen, auch an der Verwandlung des Quartiers mitgewirkt zu haben. Das durch Halter realisierte Gebäude wurde auf dem Areal einer alten Druckerei errichtet, in der sich früher die Büros der Architekten befanden. Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum es sich so gut in seine Umgebung einfügt. Die Erschaffer waren mit dem Standort bestens vertraut. Während einige der Nachbargebäude versuchen, ihre Individualität durch die Materialien und die Gestaltung ihrer Fassaden zu unterstreichen, zeichnet sich das Moxy eher durch die Einbettung in den Kontext aus – ohne jedoch stilistische und gestalterische Abstriche zu machen.
Vergangenheit und Gegenwart
Der Bau liegt zwischen der Rue de la Vigie, der Voie du Chariot und einem Platz mit der von Samuel Wilkinson und dem Studio Oloom geschaffenen Skulptur L’arbre de Flon-Ville. Er trägt sowohl der historischen, industriellen Parzellierung als auch den baurechtlichen Bestimmungen Rechnung. Bei maximaler Ausnutzung des zulässigen Volumens kamen zwei unterschiedlich hohe Gebäudeteile zur Ausführung. Dies ist die einzige Besonderheit des strengen Betonkubus, der wie ein undurchdringlicher Panzer wirkt und ein introvertiertes Programm beherbergt – auch wenn das Café-Restaurant der Öffentlichkeit zugänglich ist. Momentan verzichten die Betreiber noch darauf, die durch den Höhenunterschied entstandene, begehbare Dachterrasse zu nutzen. Es ist jedoch vorstellbar, dass sich bald eine ähnliche Entwicklung wie bei den benachbarten Gebäuden abzeichnet. Dort wurden auf den Dächern nach und nach Bars und Restaurants eingerichtet, wodurch ein halb öffentlicher Raum unter freiem Himmel auf dem Niveau der umliegenden Stadt entstand.
Das Gefühl der baulichen Kompaktheit wird durch die Umkehrung der Struktur der Gebäudehülle verstärkt, unabhängig von deren Ausrichtung: Das an den längeren Nord- und Südfassaden identische Kompositionsraster setzt sich an den kürzeren Ost- und Westseiten bis zur Mitte des Gebäudes, die als Symmetrieachse fungiert, fort. Ebenso findet sich die kranzförmige Anordnung auch im Grundriss wieder. Um das realisierbare Volumen optimal auszunutzen, wurden die Verkehrsflächen zu beiden Seiten eines inneren Streifens mit Technik- und Betriebsräumen angeordnet. Diese Organisation ermöglicht, dass die Gästezimmer strukturiert und pragmatisch entlang der Fassade aufgereiht sind. An den beiden Querseiten des Gebäudes befinden sich grosszügig bemessene Zimmer für Personen mit eingeschränkter Mobilität. Die programmatische Wiederholung des Hotelzimmermoduls ist nach aussen sichtbar und gewollt. Durch den Einsatz vorgefertigter Betonelemente entsteht daraus sogar ein Motiv, das jede Einheit erkenntlich macht.
Neben der formalen Anlehnung an das industrielle Erbe sucht das Gebäude auch eine Verbindung zu seiner Umgebung. Die Verwendung vorgefertigter Elemente erinnert an den Entwurf des Architekturbüros Patrick Mestelan & Bernard Gachet aus dem Jahr 2007 für den Verwaltungskomplex Flon-Ville. Localarchitecture übernahm auch die differenzierte Ausbildung des Erdgeschosses als Sockel und sogar Arkaden, die auf sich nach unten verjüngenden Pfeilern ruhen. Auf der Seite des Platzes kommt ein Säulengang zum Einsatz, der zur vorerst letzten südlichen Erschliessungszone des Quartiers führt, der Voie du Chariot.
Doch das Moxy-Hotel in Lausanne möchte weder imitieren, noch unbemerkt bleiben. Der aufmerksame Betrachter erkennt sofort die schrägen Linien und die ausgeprägte Geometrie, für die Localarchitecture bekannt ist. Tatsächlich hat das Büro bei den meisten seiner Projekte einen Stil entwickelt, der sich am Ornament orientiert und damit die Struktur oder konstruktiven Teile eines Gebäudes betont. Ob aus Holz oder Beton – das Material wird plastisch verarbeitet, um die Anforderungen eines Projekts in seiner Ästhetik zu integrieren.
Die Aneinanderreihung der Gästezimmer erzeugt ein Muster auf der gesamten Gebäudehülle. Durch Module, die sich nach unterschiedlichen Variablen in den Raum entfalten und dem Bau durch Wiederholung eine gesamtheitliche Kohärenz verleihen, wirkt die hängende, nichttragende Fassade wie plissiert.
Serielle Komplexität
Das Design des Moduls, das ausschliesslich aus gekippten Flächen besteht, gewährleistet die Privatsphäre der Gäste besonders am Kopfteil des Bettes. Gleichzeitig gewährt das schräg gestellte Fenster den indirekten Blick nach aussen. Durch diese besondere Anordnung wird der Einblick erschwert und die Bewegungsfreiheit rund um das Bett grösser. Für eine horizontale Schichtung und gegen die Bildung eines vertikalen Rasters auf der Fassade wurde bei Stürzen und Plattensegmenten auf rechte Winkel verzichtet. So entsteht ein eckiges, geometrisches und dynamisches Muster, das die Grundeinheit des Ganzen bildet.
Mit weniger als vierzig Gussformen für die gesamte Fassade und einem einzigen Prototyp vor Beginn der Bauarbeiten war die Fertigung des Moduls indes eine Herausforderung. Wenige rechte Winkel, Aussparungen für den Sonnenschutz, integrierte Rollladenführungen und Fenster ohne Normmasse – die scheinbare Einfachheit täuscht.
Die Wahl von vorgefertigten Betonelementen ermöglichte den Planern vor allem auch eine rasche Umsetzung. Nach Abschluss der Abbruch und Spezialarbeiten dauerte es gerade einmal vier Monate bis zur Fertigstellung des Rohbaus. Die beengten Verhältnisse auf der Baustelle und der sehr beschränkte Lagerplatz machten eine genaue Koordination der Lieferung von Fassadenelementen sowie des Einbaus von Treppen und Badezimmern erforderlich. Letztere wurden auf Wunsch der Betreiber als Fertigbauteil geplant, dezentral gefertigt und während der Bauarbeiten vor Ort montiert. Anschliessend mussten nur noch die Silikonfugen gesetzt werden. Die versiegelten Bäder wurden erst während der Ausbesserungsarbeiten geöffnet.
Neben den eingeschränkten Lagerkapazitäten gab es aber noch eine Vielzahl anderer Probleme, die zu lösen waren. Die spezielle Baustelle liegt zwischen dem Rechenzentrum der Stadt, das empfindlich auf Vibrationen reagiert, dem unterirdischen Auffangbecken der Jumelles-Passage, das während der Fundamentarbeiten abgestützt werden musste, und einem Aufnahmestudio im Untergeschoss, das erhalten bleiben sollte. Daran, dass es überspannt werden musste, erinnert heute ein Absatz im Boden des Erdgeschosses. Um diese Herausforderung zu meistern, wurden 114 Mikropfähle gesetzt und eine Trägerstruktur konstruiert, die alle Lasten ins Zentrum des Gebäudes auf die technische Grundstruktur und die grossen, v-förmigen Pfeiler ableitet, die zu beiden Seiten des Atriums angeordnet sind.
Architektur vs. Inneneinrichtung
Das Atrium, sonst ein typisches Element der von John Portman entworfenen grossen Hotelbauten des 20. Jahrhunderts, wird hier auf seine Funktion als Lichtquelle reduziert. Obwohl man hie und da Gäste auf anderen Etagen erblicken kann, ist es kein Ort, der mit Leben erfüllt ist oder Identität schafft. Als Teil des inneren Kerns durchdringt es vertikal das gesamte Gebäude und bringt Tageslicht in die an den Enden verglasten Flure und die Lobby. Diese profitiert vom Lichteinfall und von einer grosszügigen Raumhöhe, die sie zum einen dem Studio im Untergeschoss verdankt und zum andern dem leicht zurückversetzten Eingang. Mit Sichtbetonwänden in den öffentlichen Bereichen und in den Zimmern gab Localarchitecture den vom Hotel beauftragten Innenarchitekten die Vorlage für eine Umsetzung im Industrial Chic.
Denn Moxy ist eine Design-Hotelkette, die sich über eine eigene visuelle Sprache und feste Standards definiert. In einem derart eingeschränkten Rahmen Architektur zu entwerfen – sowohl auf den Ort bezogen als auch auf das Programm –, kann ebenso motivierend wie frustrierend sein. Im vorliegenden Fall gelang es den Architekten, mit dem Kontext zu spielen, indem sie die baurechtlichen Auflagen bestmöglich ausnutzten, die strengen Normen der Betreiber mit originellen Raumlösungen abwandelten und mit Baustoffen arbeiteten, die der Architektur eine gewisse Beständigkeit verleihen. Erst dann kann die Ausstattung folgen, die sich nach den Wünschen der Betreiber, dem Zeitgeist und Einrichtungstrends richtet.
Localarchitecture
Localarchitecture
Das Architekturbüro wurde 2002 von Manuel Bieler, Antoine Robert-Grandpierre und Laurent Saurer gegründet. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Entwicklung einer Architektur, die auf einen Kontext reagiert und dazu beitragen soll, seine Harmonie und Geschichte neu zu definieren. Als Ergebnis einer genauen Analyse der Umgebung erforscht ihre Architektur die Vorstellung von der Präsenz eines Gebäudes, die durch eine intime Beziehung zwischen Form und Struktur entsteht. Localarchitecture wurde national und international durch Publikationen und Wettbewerbe bekannt. Zu ihren jüngsten Auszeichnungen gehören der International Wood Architecture Award 2019, die Distinction Romande d’Architecture 2006 und 2018 sowie der Best Architects Award 2015 und 2018. Die Partner des Büros sind seit mehreren Jahren in der Lehre tätig, insbesondere an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), bei Prof. Harry Gugger (Laboratory Basel), an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), an der Hochschule für Architektur und Technik Freiburg (HES-SO), an der Hochschule für Kunst und Design Genf (HEAD-HES-SO) und an der Architekturakademie Mendrisio.