Im Griff der Regulierung

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Donato Scognamiglio
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IAZI

Gesetze, Verordnungen, Richtlinien – der Einfluss der Politik auf die Immobilienwirtschaft wächst stetig. Während Konjunktur- und Zinsprognosen in der Branche akribisch überwacht werden, ist die Zahl pendenter Vorstösse im Politbetrieb kaum überschaubar. Diese können manchmal weit grössere Auswirkungen auf das Tagesgeschäft haben als die generelle Wirtschaftsentwicklung.

Ein kleines Wort kann manchmal grosse Wirkung entfalten. Im konkreten Fall heisst das Wort «oder» und kostet einen Immobilienbesitzer monatlich rund 1700 Franken Mietzins. So hoch war die Reduktion, welche die Mieter einer Wohnung in der Zürcher Innenstadt drei Wochen nach ihrem Einzug vom Vermieter forderten und schliesslich vom Bundesgericht auch zugesprochen bekamen.

Die Kläger, beide Gutverdiener, stützten sich auf das Obligationenrecht. Laut diesem können Mieter den Anfangsmietzins unter anderem anfechten, wenn sie sich wegen einer persönlichen oder familiären Notlage zum Vertragsabschluss gezwungen sahen. Oder – und dies war im vorliegenden Fall entscheidend – wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, also bei Wohnungsnot. Während die Zürcher Justiz dieses «oder» als «und» auslegte und verlangte, dass eine persönliche Notlage sowie Wohnungsnot für eine Anfechtung gegeben sein müssen, begnügte sich das Bundesgericht buchstabengetreu mit nur einer Bedingung, nämlich der Wohnungsnot.

Aus einer vertraglich vereinbarten Monatsmiete von 3900 Franken zuzüglich 300 Franken Nebenkosten wurden so 2500 Franken. Da man in der Regel bei einer Leerwohnungsziffer von unter 1,5 Prozent von Wohnungsnot spricht, herrscht in fast allen grösseren Schweizer Städten ununterbrochen Notstand. Weiteren Klagen stehen damit Tür und Tor offen, die Vertragstreue wird ausgehöhlt.

Illegale Renditen?

Der Fall zeigt exemplarisch, wie detailliert der Gesetzgeber die Spielregeln im Miet- und Wohnungsmarkt festlegt und damit auch die Geschäftsmodelle der Immobilienwirtschaft steuert. Ein einzelnes Wort, vermutlich unbedacht gesetzt, kann darüber entscheiden, ob man mit einer Immobilie überhaupt einen Gewinn erwirtschaften darf. Die Regulierung kommt nicht von ungefähr: Grund und Boden sind begrenzt, und jeder muss irgendwo wohnen. In der Schweiz, dem Land der Mieter, fallen entsprechende politische Anliegen sowieso auf fruchtbaren Boden und finden rasch Mehrheiten.

Doch wo liegt die Grenze zum Eingriff in das Eigentum? Das Mietrecht birgt, besonders in Zeiten von tiefen und negativen Zinsen, weitgehende Einschränkungen der Immobilienwirtschaft. Bei Wohnungsnot, gemäss offizieller Definition Normalzustand in den Zentren, liegt die derzeit zulässige Nettorendite einer Immobilie bei gerade einmal 2 Prozent. Dies entspricht dem Referenzzinssatz von aktuell 1,5 Prozent zuzüglich eines Aufschlags von 0,5 Prozent. Alles, was darüber liegt, gilt als übersetzter Ertrag und kann angefochten werden. Nimmt man diese Grenzwerte für bare Münze, erwirtschaften zumindest in den Städten praktisch sämtliche Schweizer Immobiliengesellschaften illegale Renditen.

Der politische Konflikt zwischen Eigentümern und Mietern ist nur einer von vielen, die die Interessen der Immobilienbranche direkt betreffen. Weiteres prominentes Beispiel sind die Siedlungsentwicklung und der Lärmschutz: Seit einigen Jahren ruft in den Städten alles nach Verdichtung, Hunderte Seiten an Konzeptpapieren und Testplanungen haben Politik und Verwaltung zum Thema erstellt. Liegen dann aber konkrete Projekte vor, scheitern diese oft an den Lärmgrenzwerten, genauer gesagt, an den Messmethoden.

So muss eine Genossenschaft in Zürich-Friesenberg in einer gemeinnützigen Überbauung Büros statt preisgünstiger Wohnungen erstellen, obwohl es in der Stadt bereits ein Überangebot an Geschäftsräumen gibt. Zur unfreiwilligen Planänderung kam es, weil die Lärmwerte gemäss heutiger Praxis an sämtlichen Fenstern der Wohnräume einzuhalten sind – im geöffneten Zustand wohlgemerkt. Zahlreiche der Strasse zugewandten Wohnungen werden dadurch verhindert.

Offenbar verzichtet man lieber auf zusätzliche Wohnungen in der Stadt, um dafür sämtliche Fenster rund um die Uhr ungestört offen stehen lassen zu können. Daran dürfte sich bis auf Weiteres wenig ändern: Die Motion eines grünliberalen Nationalrats zur Lockerung der Messpraxis wurde vom Ständerat stark abgeschwächt.

Hunderte Vorstösse in der Pipeline

Die Liste an Themen lässt sich fast beliebig erweitern: Von Raumplanung und Mehrwertabgabe über Landschaftsschutz und Energie bis hin zu Bau- und Parkplatzordnungen. Über siebzig Vorstösse, die die Immobilienwirtschaft betreffen, sind derzeit allein auf Bundesebene pendent. Über hundert weitere politische Geschäfte kommen hinzu, wenn man die Kantone Basel-Stadt, Bern, Genf, Waadt und Zürich sowie deren Hauptorte berücksichtigt. Es droht eine kaum überschaubare Flut an neuen Regeln sowie Verschärfungen und Lockerungen bereits bestehender Vorgaben (siehe Grafik).

Pendente politische Vorstösse mit Einfluss auf die Immobilienwirtschaft (Kantone und jeweiliger Hauptort).

Während es für fast alle Unwägbarkeiten des Alltags Risikomodelle und Prognosen gibt, befinden sich zahlreiche Marktteilnehmer in Bezug auf die politischen Entwicklungen im Blindflug. Dabei können politische Geschäfte grossen Einfluss auf den Wert von Immobilien haben. Zwar gibt es immer wieder Vorstösse, deren Ziel es ist, den Griff der Regulierung ein wenig zu lockern. Es handelt sich dabei aber um eine Minderheit. Insgesamt wird das Korsett von Regeln, Vorgaben und Anweisungen stets enger und damit die Bewegungsfreiheit der Branche kleiner.

Diese Entwicklung bleibt von der breiten Öffentlichkeit meist unbemerkt. Vereinzelt regt sich jedoch Widerstand in der Bevölkerung, wenn der Zugriff auf das Eigentum allzu direkt ist. So nahmen kürzlich einige Berner Gemeinden im Rahmen ihrer Ortsplanung Auf- und Umzonungen vor, wobei ein Teil des dadurch entstehenden Mehrwerts bei den betroffenen Grundbesitzern abgeschöpft werden sollte – so die gängige und bewährte Praxis.

Nun forderten die Behörden diese Abgabe aber nicht erst, wenn die Parzelle tatsächlich besser genutzt wird, also bei einem Neu- oder Umbau. Die Besitzer sollten den theoretischen Mehrwert bereits bei einer Handänderung, etwa bei einer Vererbung, entrichten. Nach massivem Widerstand und Hunderten Einsprachen müssen die betroffenen Gemeinden nun über die Bücher.

Für Unmut dürfte das neue Raumplanungsgesetz auch in der Waadt sorgen. Der aktuelle kantonale Richtplan spricht jeder Gemeinde ein präzises Bevölkerungswachstum bis 2040 zu und verteilt die Bauzonenreserven entsprechend. Dies könnte in den kommenden Jahren zum grössten Baulandbasar des Landes führen.

Wunsch und Wirklichkeit

Solche und viele weitere Beispiele zeigen: Die Politik täte oft gut daran, sich ein wenig zurückzuhalten. Umso klarer wird dies, wenn man Ziele und tatsächliche Resultate der Detailsteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten abgleicht. Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht; manchmal bewirkt es sogar das Gegenteil. Massnahmen zum Mieterschutz und zur Senkung von Mietpreisen sind letztlich oft die Ursache für eine Erhöhung des Mietpreisniveaus und zusätzliche Anspannung des Wohnungsmarkts.

Die gleiche unbeabsichtigte Wirkung dürfte der Ausschluss ausländischer Investoren vom Schweizer Immobilienmarkt haben, den eine vorgeschlagene Änderung der Lex Koller bezweckt. Werden die Konditionen für Investoren verschlechtert, schrumpft langfristig das Angebot und die Preise steigen. Bestes Beispiel für diesen Mechanismus ist die Stadt Genf, wo Wohnraum trotz oder eben gerade wegen der minutiösen gesetzlichen Vorgaben (Stichwort LDTR, das Gesetz über den Abriss, die Umwandlung und die Renovation von Wohnungen) äusserst knapp bleibt.

Doch für die Immobilienbranche zeichnen sich vereinzelt auch Lichtblicke ab. Die fatale Wirkung des Wortes «oder» im zu Beginn dieses Textes erwähnten Gesetzesartikel wurde mittlerweile von bürgerlichen Politikern erkannt. Derzeit liegen gleich zwei parlamentarische Initiativen vor, die diese gesetzlich garantierte Carte blanche für Mietsenkungen entschärfen möchten. Der unerfüllte Wunsch nach einer günstigen Wohnung im Stadtzentrum dürfte beim Erfolg der Vorstösse nicht mehr Grund genug für eine gerichtlich verordnete Mietzinsreduktion sein.

Auch dagegen ist aber bereits Widerstand aufgekommen. Ein SP-Nationalrat möchte mit einer weiteren parlamentarischen Initiative auch das Kriterium der Wohnungsnot aus dem entsprechenden Gesetzesartikel tilgen. Dann könnten nicht nur die von Wohnungsnot geplagten Städter einen Mietvertrag unterschreiben, um diesen sofort vor dem Mietgericht anzufechten, sondern sämtliche Mieter. Das Hü und Hott liegt in der Natur der Politik. Die Immobilienbranche tut gut daran, diese auf dem Radar zu haben.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2018 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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