Im Auge des Betrachters
Moderne Unternehmen können sich mit dem Einsatz neuer Technologien einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen. Für sie entwickelte das junge Software-Unternehmen Holo One die Augmented-Reality-Plattform Sphere. Mit der Applikation sollen Prozesse vereinfacht und die Arbeitsproduktivität gesteigert werden. Das Projekt Stücki Park in Basel wurde für die Anwendung in der Bau- und Immobilienbranche zum Testfall.
Augmented Reality (AR) ist spätestens seit 2016 in aller Munde. Das Software-Unternehmen Niantic veröffentlichte das AR-Spiel «Pokémon Go», das mit über einer Milliarde Downloads zum Massenphänomen wurde. Ziel des Spiels ist es, per Smartphone möglichst viele der virtuellen Fantasiewesen zu fangen, die für den Spieler mittels GPS und Echtzeit-Lokalisierung seiner Standortdaten positioniert wurden. Eine solche computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung nutzt heute aber längst nicht nur die Unterhaltungsbranche. Durch den Einsatz von AR-Brillen können zum Beispiel in der industriellen Anwendung digitale Planungsdaten effizient mit vorhandenen realen Gegebenheiten abgeglichen werden. Damit lassen sich Fehler schneller identifizieren und beheben. Zum Datenabgleich dienen dabei sämtliche Zusatzinformationen, Bilder, Videos oder virtuellen Objekte, die der Anlage zugeordnet wurden und in der Brille als Überlagerungen des realen Bildes abgerufen werden können. Im Gegensatz zu Virtual Reality taucht der Nutzer nicht in eine gänzlich künstliche Umgebung ein, sondern mischt seine Wirklichkeit mit der digitalen Welt – weshalb Anbieter von AR-Lösungen auch von Mixed Reality (MR) sprechen. Ermöglicht wird damit eine neue Form von Interaktion, die Prozesse vereinfachen und zur Effizienzsteigerung beitragen soll. Dieses Potenzial hat auch die Baubranche erkannt. In dem Grossprojekt Stücki Park in Basel unterzog sich die AR-Applikation Sphere dem Proof of Concept für die Bau- und Immobilienwirtschaft.
Erweiterte Realität für den Stücki Park
Im Norden der Stadt Basel entwickelt sich mit dem Stücki Park ein neuer Wirtschaftsstandort. Parallel zum bereits bestehenden Technologiepark und dem Shoppingcenter entstehen vier neue Gebäude: zwei mit Labor- und Forschungsflächen und zwei mit Büroräumlichkeiten. Die Neubauten bieten Raum für insgesamt 1700 Arbeitsplätze. Bauherrin des Stücki Parks ist die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site. Sie engagiert sich für die digitale Transformation der Immobilienbranche und unterstützt Start-ups, um innovative Konzepte, skalierbare Geschäftsmodelle und technologische Lösungen vorantreiben zu können. In der Applikation Sphere des jungen Unternehmens für AR-Business-Lösungen Holo One erkannte die Bauherrin einen vielversprechenden Anwendungsfall. Der Stücki Park erwies sich aufgrund seiner vielfältigen Infrastruktur als prädestiniert für den erstmaligen Einsatz der Software. Das Bauprojekt wurde als BIM-Projekt geplant und lieferte damit die Datenbasis als Grundvoraussetzung für die Anwendung von Augmented Reality. Halter als Gesamtleister war schnell überzeugt. «Wir sahen das Potenzial für eine signifikante Effizienzsteigerung in mehreren Bereichen – sowohl für die Stücki-Park-Entwicklung als auch für andere Immobilienprojekte», erklärt Rainer Schmitt, Leiter Digital Planen und Bauen bei Halter*. «Deshalb galt es, die Technologie hinsichtlich ihrer Eignung für die Bauausführung, aber auch ihrer Akzeptanz zu testen. Was nutzen uns schliesslich die neuen Werkzeuge, wenn niemand bereit ist, sich auf ihre Bedienung einzulassen.»
Visualisierung von realer und digitaler Welt
Sphere besteht aus einzelnen Modulen, die unterschiedliche Anwendungsfälle abdecken. Im Bauprojekt Stücki Park befanden die Vertreter der Bauherrschaft, des Gesamtleisters und der Applikationsentwicklung die Visualisierungsmöglichkeiten als vielversprechend. Zum einen lässt sich das BIM-Modell des Projekts mit der AR-Brille an jedem Ort in Form eines Hologramms projizieren. Dabei können einzelne Ebenen hervorgehoben und verschiedene Perspektiven eingenommen werden. Dies ermöglicht eine völlig neue Art der Projektpräsentation. Zum anderen kommt die Applikation direkt auf der Baustelle zum Einsatz, wo sie die digitalen Pläne zusammen mit den realen Gegebenheiten abbildet. Zur Baukontrolle eingesetzt, macht die AR-Brille schnell deutlich, wo die Realität nicht der Planung entspricht und Handlungsbedarf besteht. Fehler werden frühzeitig erkannt, und die Bauleitung kann vorausschauend handeln. So werden mithilfe der erweiterten Realität zum Beispiel die Positionen von Aussparungen und Durchbrüchen für die Gebäudetechnik oder von Türen, Fenstern und Stützen überprüft. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem die Ausführung von Korrekturen wesentlich weniger aufwendig ist als in späteren Projektphasen.
Das Feature dient aber auch der Mieterschaft oder dem Stockwerkeigentümer. Durch den Vergleich des bestehenden Grundausbaus mit dem geplanten Mieter- oder Eigentümerausbau werden Planungsfehler offensichtlich. Ob der Empfang und die dafür vorgesehenen Anschlüsse näher beim Eingang zu platzieren sind oder noch vier weitere Arbeitsplätze eingeplant werden müssen, sind Korrekturen, die in dieser Projektphase mit wenig Aufwand durchgeführt werden können.
Interaktion mit Architekten, Planern und Installateuren
Die Cloud-basierte Sphere-Plattform ermöglicht die Integration der AR-Applikation und organisiert den Datenaustausch mit dem BIM-Modell. Das Architekturmodell und alle gebäudetechnischen Installationen werden im Koordinationsmodell zusammengeführt und stehen auf dem zentralen Portal allen Projektbeteiligten zur Verfügung. Der Zugriff kann via PC, Smartphone oder Tablet erfolgen. Durch die Microsoft-Brille Hololens, ein in sich geschlossener Computer mit WLAN-Konnektivität, sind alle Informationen, die für die Arbeit benötigt werden, immer dabei. Mit der Brille können auch Fotos, Videos und 3D-Objekte aufgenommen werden. So lassen sich einfach zusätzliche Projektinformationen generieren und Abweichungen dokumentieren. Die AR-Technologie von Holo One geht aber mit verschiedenen Interaktionstools noch einen Schritt weiter.
Das BIM Collaboration Format (BCF) ist ein einfacher und nützlicher Ticketingsystem-Standard. Er dient dazu, identifizierte Probleme zu melden, zurückzuverfolgen und zu lösen. Michal Rontsinsky, Projektleiter Digital Planen und Bauen bei Halter, erklärt: «Ich mache mit meiner Brille einen Screenshot der vorgefundenen Situation, beispielsweise die Position einer Wand, die eine Differenz zur Planung aufweist. Ich ordne dem Bild am PC die entsprechende Zuständigkeit zu und füge wenn nötig Kommentare ein. In einem BIM-Modell-fähigen CAD-Programm kann ich diese Pendenz verorten, sodass der Architekt beim Öffnen des Tickets direkt zu der Stelle geführt wird, wo die Abweichung zu finden ist. So kann er das virtuelle Abbild des gebauten Gebäudes zeitnah entsprechend anpassen.» Das präzise Nachführen des As-built-Modells ohne fehleranfällige E-Mail-Kommunikation sei für die bauausführenden Unternehmen ein grosser Mehrwert, ist Rontsinsky überzeugt.
Und er demonstriert noch eine weitere Interaktionsform über die AR-Brille: den Video-Call. Dazu bringt er Daumen und Zeigefinger zusammen, und die Verbindung zur gewünschten Kontaktperson wird hergestellt. Nicht nur die Leichtigkeit der intuitiven Bedienung überrascht, sondern auch die Effizienz, mit der auf diesem Weg Probleme gelöst werden können. Planer oder Installateure sehen auf ihrem Bildschirm das gleiche Bild wie der Nutzer der AR-Brille und nehmen direkt zu den Fragen Stellung. So können zum Beispiel im Technikraum die aktuellen Anschlüsse gemeinsam kontrolliert, Abweichungen beim Bau von Lüftungskanälen oder eine fehlerhafte Montage der Sprinkleranlage besprochen werden. Damit erweist sich die AR-Brille für den Bauleiter als probates Werkzeug zur Ermittlung und zum Beweis von Ausführungsfehlern.
Ähnlich wie in der industriellen Anwendung bietet Augmented Reality auch in der Bau- und Immobilienbranche für die Wartung und den Unterhalt der technischen Anlagen ein grosses Potenzial.Rainer Schmitt, Leiter Digital Planen und Bauen bei der Halter AG*
Gemeinsam Entwicklungen vorantreiben
Die AR-Technologie habe anfänglich einige Herausforderungen mit sich gebracht, berichtet Michal Rontsinsky. Ein grosses Problem sei zum Beispiel die deckungsgleiche Verortung der digitalen Projektdaten auf der realen Umgebung gewesen. «Wir benötigten ein exaktes Skalierungssystem und entwickelten zusammen eine praktikable Lösung.» Dieses System arbeitet mit Verankerungen, die im BIM-Modell als Referenzpunkte gesetzt werden. Die Anker sind verknüpft mit realen Bauteilen, die sich weder während der Bau- noch in der Betriebsphase verändern. Damit ist jederzeit sichergestellt, dass die digitalen Pläne an der richtigen Stelle angezeigt werden.
Dank der präzisen Skalierung stellt Halter in Aussicht, die Augmented-Reality-Plattform auch in der Betriebsphase des Gebäudes einzusetzen. Sie liesse sich für das Facility-Management und weitere Massnahmen wie Umbau, Modernisierung und Sanierung nutzen. «Ähnlich wie in der industriellen Anwendung bietet Augmented Reality auch in der Bau- und Immobilienbranche für die Wartung und den Unterhalt der technischen Anlagen ein grosses Potenzial», ist Rainer Schmitt überzeugt.
Die Entwicklung einer branchentauglichen AR-Lösung sei für die Projektbeteiligten eine Win-win-Situation gewesen. «Zusammen mit Swiss Prime Site brachten wir die Software-Entwickler in direkten Kontakt mit der Baustelle und den relevanten Akteuren. Im Gegenzug konnten wir uns technologisch in der Bauausführung entscheidend weiterentwickeln», resümiert der Leiter Digital Planen und Bauen*.
*Anmerkung der Redaktion: Seit September 2020 ist Rainer Schmitt Chief Digital Officer bei der Integral design-build AG, einer Schwesterfirma der Halter AG.