Es klemmt im Getriebe der Innenverdichtung

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Dominique Wyss

Die Innenverdichtung leistet einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, schafft bezahlbaren Wohnraum an gefragten Lagen und wirkt der Zersiedelung und der Versiegelung des Bodens entgegen – so die Theorie.

«Ja, aber ...», heisst es landauf, landab – obwohl es objektiv wenige Argumente gibt gegen die Innenverdichtung als probates Mittel, um den aktuellen raumplanerischen Herausforderungen zu begegnen. Die Köpfe sagen Ja, doch die Bäuche sind zu voll. Es gilt, die Eigeninteressen zu überwinden. Politik und Behörden, Investoren und die Bauwirtschaft sind gleichermassen gefordert, die Bedenken zu entkräften.

Immer mehr Menschen wollen in urbanen Siedlungsstrukturen wohnen. Global ist ein Megatrend der Urbanisierung zu beobachten. Am städtischen Raum kristallisieren sich die wichtigsten Fragen der heutigen Zeit heraus: der Kampf gegen den Klimawandel, die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum, die Zukunft von Arbeit und Mobilität. Nach wie vor wächst die Schweizer Bevölkerung – in den letzten fünf Jahren zwischen 0,7 und 0,8 Prozent jährlich. Die Zinswende hat direkte Folgen für den Immobilienmarkt. Leerstandsquoten, die ohnehin schon sehr tief sind, sinken weiter. In der Folge nimmt die Bautätigkeit ab – Bauland steht zwar zur Verfügung, aber an den falschen Orten. Die Balance zwischen Angebot und Nachfrage wird weiter aus dem Lot geraten.

Robin Neuhaus, in Zürich geboren, absolvierte eine Lehre als Hochbauzeichner. Im Anschluss liess er sich in Burgdorf zum Dipl. Ing. FH in Bauprozessmanagement ausbilden. Sein Dozent Andreas Campi vermittelte ihn an die Swiss Spa Group AG, wo er unter anderem Projektleiter der Europaallee von SBB Immobilien war. Nach einer Weltreise startete er bei der Priora Development AG. Hier war er Portfolio Manager für die Liegenschaften um den Flughafen Zürich. Während dieser Zeit studierte er am Curem an der Universität Zürich und erwarb die Mitgliedschaft im Rics. Daraufhin wurde er Leiter Portfolio Management bei der Flughafen Zürich AG. Seit November 2021 ist Robin Neuhaus Projektleiter Entwicklung bei der Halter AG. → www.halter.ch

Dabei stünde ein Rezept bereit: die Innenverdichtung. Sie leistet einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, schafft bezahlbaren Wohnraum an gefragten Lagen und wirkt der Zersiedelung und der Versiegelung des Bodens entgegen. So die Theorie. Doch der Unterschied zwischen Theorie und Praxis – das ist das Paradoxe – ist in der Praxis weit grösser als in der Theorie. Die Verdichtung als Landbewirtschaftungsstrategie ist noch nicht angekommen. Bebaubares Land wird als unendliche Ressource wahrgenommen. Mancherorts fehlt auch schlicht die politische Motivation, vor dem Hintergrund einer Not-in-my-Backyard-Haltung einer urbanen Bevölkerung. Das führt zu stockenden Reformen der lokalen Bau- und Zonenordnungen und zu raumplanerischer Mutlosigkeit.

Ein weiteres Hindernis ist das extensive Einspracherecht, das zunehmend zur Grundsatzopposition oder für Partikularinteressen missbraucht wird. In diesem Kontext ist auch die Haltung des schweizerischen Heimatschutzes zu lesen, der mit einer Fixierung auf das Argument der grauen Energie ein faktisches Abbruchverbot fordert.

Am Beispiel des Heimatschutzes lässt sich exemplarisch beobachten, wie Organisationen und Verbände die Klimakrise für ihre eigenen Zwecke und Ideologien nutzen. So ist die Forderung eines faktischen Abbruchverbots des Heimatschutzes gerade aus energiepolitischen Überlegungen falsch. Energetisch und funktional nicht mehr intakte Gebäude beanspruchen bei ihrer aufwendigen Instandsetzung in der Regel gleich viel oder sogar noch mehr graue Energie wie ein zeitgemässer Neubau. In der Bilanz ist ein Ersatz des Bestands über die Innenverdichtung gemäss der Vorgabe des Raumplanungsgesetzes eine der klimaeffektivsten Massnahmen überhaupt. Das Argument, über Ausnützungsboni würden falsche Anreize für Hauseigentümer gesetzt und energetisch intakter Bestand zerstört, ist darum zu kurz gedacht. Der Eigentümer eines funktional intakten Gebäudes wird wenn immer möglich im Bestand verdichten, weil er (zumindest) den wirtschaftlichen Wert seiner Liegenschaft erhalten will.

Es ist gut und notwendig, historisch und kulturell wertvolle Bauten nicht mit der dualen Sichtweise der ausschliesslichen Logik von Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zu betrachten, sondern einer ehrlichen lnteressenabwägung zu unterziehen. Doch die Schweizer Bevölkerung wächst noch immer, und damit steigt die Wohnungsknappheit. Die einzige Alternative zur Innenverdichtung ist es, weiter auf der grünen Wiese zu bauen. Das kann niemand wirklich wollen.

Innenverdichtung kann den CO2-Fussabdruck verringern und bezahlbaren Wohnraum schaffen

Was braucht es, damit die Innenverdichtung aus der Sackgasse der Interessen findet? Die Verdichtungsstrategie ist kein Allerortskonzept, das ist offensichtlich. Doch genau darum sind eine klar definierte Zielsetzung und deren konsequente Umsetzung gefragt. Im Zentrum der Betrachtungen stehen gemäss der Raumgliederung des Bundesamts für Statistik die Agglomerationsgürtelgemeinden sowie die Haupt- und Nebenkerne der Agglomerationskerngemeinden.

Jeder Quadratmeter Wohnfläche, der an einer zentralen Lage erstellt wird, hat einen geringeren CO2-Fussabdruck als ein Quadratmeter Wohnfläche an einer nicht zentralen Lage. Das liegt am tieferen Flächenverbrauch pro Kopf – wo das Land teuer ist, gebieten die ökonomischen Grundmechanismen einen effizienteren Flächenkonsum. Gleichzeitig sinkt der Verbrauch der Mobilitätsenergie im Vergleich zu dezentralen Lagen. Die Innenverdichtung hält auch einen Mechanismus dafür bereit, bezahlbaren Wohnraum in Abhängigkeit zur zusätzlich generierten Nutzung über eine sinnvolle Quote festzusetzen. Ein Teil des durch die Innenverdichtung erreichten Ausnützungspotenzials kann dem Markt entzogen und als günstiger Wohnraum angeboten werden. Nichtverdichtung an zentralen Lagen akzentuiert das Problem bezüglich bezahlbaren Wohnraums, weil dort, wo die Leute wohnen wollen, keine Wohnungen entstehen. Mit der konsequenten Innenverdichtung wird es auch aus volkswirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll, bezahlbaren Wohnraum an zentralen Lagen zu erstellen beziehungsweise einzufordern.

Alle Akteure sind dazu aufgerufen, die Klemme in der Innenverdichtung zu lösen und zu helfen, dass der Prozess wieder Fahrt aufnimmt. Städte und Gemeinden müssen die sich bietenden Potenziale auf ihrem Gemeindegebiet mit entsprechenden Auf- und / oder Umzonungen umsetzen. Massnahmen wie Mehrwertabgaben und Mehrwertausgleich sind vorhanden. Die letzten Signale aus Bern bezüglich des politischen Innenverdichtungskillers Lärmschutz stimmen ebenfalls positiv, will doch der Bundesrat das Umweltschutzgesetz abändern und der gängigen Praxis anpassen sowie die bislang notwendige Ausnahmebewilligung in lärmbelasteten Gebieten abschaffen. Investoren und Grundeigentümer sollten dort, wo sich Kosten und Nutzen sinnvoll ergänzen, die Instrumente der Sondernutzungsplanung ergreifen, um erweiterte Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Bauwirtschaft muss in neuen Planungs- und Fertigungsmethoden denken, um die Gebäude kreislaufwirtschaftsfähig zu erstellen und den Gebäudepark bereits heute für die Verdichtungszyklen von morgen fit zu machen.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2023 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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