Eine Insel im Landschaftsraum

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DnD Landschaftsplanung
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Patrick Senn, Johannes Buchinger

Alt und Neu verbinden, städtebauliche Porosität schaffen, klimaresiliente Freiraumgestaltung umsetzen – das sind die Kernziele für die Transformation des Attisholz-Areals bei Solothurn. DnD Landschaftsplanung und FSA Architektur aus Wien haben den Studienauftrag für sich entscheiden können, der als Masterplan die Grundlage für die weitere Entwicklung der imposanten früheren Cellulosefabrik bildet. Ziel ist es, die bestehenden Charakteristika des Areals zu bewahren und zu stärken. Zugleich bedarf es der Flexibilität, denn der Zeithorizont der Umnutzung beträgt mehr als zwanzig Jahre.

Es gibt wohl kein Industrieareal in der Schweiz, das derartig eindrücklich wirkt wie das der ehemaligen Cellulosefabrik Attisholz. Obwohl nur vier Kilometer flussabwärts von Solothurn direkt an der Aare gelegen, zeigt sich das Bauensemble bis heute ver­wunschen: Vom Halt Riedholz an der Bahn­strecke Solothurn – Niederbipp folgt man der Fahrstrasse, die steil den Hang hinabführt, passiert das ehemalige Bad Attisholz, bis sukzessive die Fabrikbauten in den Blick geraten: ein Hochkamin, die Stahlbeton­struktur des Säureturms und schliesslich die Phalanx der Hallen und Fabrikbauten, die sich entlang des mehrfach terrassierten Hangs emporstaffeln.

Verschiedene Faktoren sind es, die den speziellen Reiz dieses Ortes ausmachen: die eindrucksvolle Topografie – der terrassierte Hang am nördlichen Flussufer, der weite Blicke in die Ebene jenseits der Aare ermöglicht; die grandiosen baulichen Zeugnisse der Industriekultur, die ein Areal einnehmen, das grösser ist als die Altstadt von Solothurn; und schliesslich und vor allem: die Lage in einem von Landschaft geprägten Raum.

Industrieareale, auch grossflächige, die der Konversion unterliegen, sind in der Schweiz keine Seltenheit. Doch im Allgemeinen sind sie im städtischen Kontext situiert, ob in Zürich, Baden oder Winterthur. Das Attisholz aber ist eine baulich verdichtete Insel in einem Landschaftsraum, vollkommen entkoppelt von einer urbanen Struktur. Das bietet Potenziale für diejenigen, die mit langem Atem gesegnet sind.

Schrittweise Entwicklung

Über Erhalt oder Abriss in den Industriearealen der Schweiz entschied in den vergangenen Dezennien der wirtschaftliche Druck. Im reichen Zürich ist daher das industrielle bauliche Erbe, das an mehreren Standorten bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten blieb, weitestgehend eliminiert. In Winterthur verlief die Entwicklung aufgrund von ausbleibenden Investitionen allerdings anders: verhaltener und darum für die Bausubstanz schonender.

Die Strategie für das von der Halter AG entworfene Attisholz-Areal – sie hat die Immobilie 2016 erworben –, weist in die richtige Richtung, weil sie auf Langfristigkeit setzt. Hier geht es um eine schrittweise Entwicklung mit einem Zeithorizont, der sogar bis in die Vierzigerjahre dieses Jahrhunderts reichen mag.

Der Platz an der Aare öffnet sich gemäss dem Siegerprojekt «Schicht für Schicht» zum Flussraum. Seine kiesbedeckte Oberfläche fällt zum Ufer hin ab. Von der Rampenspindel blickt man auf das gegenüberliegende ehemalige Südareal der Cellulose Attisholz.
Für die Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer ist es wichtig, dass so viel von der bestehenden Substanz erhalten bleibt wie möglich. Die historischen Kesselbecken werden in eine wasserdurchflutete und von Bäumen umstandene Gartenlandschaft integriert.

Von der Industrie zur postindustriellen Transformation

1881 gründete der 1839 in Deutschland geborene Chemiker Benjamin Sieber, der zuvor bei der Firma Geigy in Basel gearbeitet hatte, die Cellulose Attisholz, welche sich auf die Karton- und die Papierfabrikation spezi­a­lisierte. Die einzige Cellulosefabrik der Schweiz wurde 1908 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die aber weiterhin in Familienbesitz blieb. 1983 übernahm man sogar das deutsche Toilettenpapier-Unternehmen Hakle – ein Lichtblick, der sich indes gut fünfzehn Jahre später mit dem Verkauf an einen US-amerikanischen Konzern verdüsterte. Am Ende des 20. Jahrhunderts geriet Cellulose Attisholz endgültig ins Trudeln: Christoph Blocher übernahm den Konzern im Jahr 2000 und verkaufte ihn zwei Jahre später an den norwegischen Konzern Borregaard. Dieser sah sich gezwungen, im Attisholz 2008 die Produktion einzustellen, da sich die Celluloseherstellung in der Schweiz nicht mehr rechnete. Der Mutterkonzern Orkla verkaufte die Immobilie 2016 an das schweizweit tätige Immobilienunternehmen Halter. Damit begann die Phase der postindustriellen Transformation, und das Areal wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Was in den letzten Jahren entstanden ist, beeindruckt bei einem Rundgang durch das ehemalige Firmengelände – egal ob man sich ihm von Norden, vom Bahnhof Riedholz, oder von Süden, vom Bahnhof Luterbach-Attisholz aus, nähert. Das Südareal, auf dem Gebiet der Gemeinde Luterbach gelegen, war einst für die Logistik der Cellulose Attisholz von zentraler Bedeutung: Hier wurde das Fichten- und Buchenholz gelagert, entrindet, zu Holzschnitzeln verarbeitet und dann mit der Bahn über die Aare in die Cellulosefabrik verbracht. Die Lagerhallen sind verschwunden, der Konzern Biogen hat weite Teile des Geländes übernommen und beschäftigt hier 500 Mitarbeitende. Der Kanton Solothurn erwarb 2010 sechs Hektar des flussnahen Geländes und liess den 2019 eröffneten und von Mavo Landschaften aus Zürich konzipierten Uferpark realisieren, der nur noch die Erinnerung an die einstige Industrielandschaft wachhält.

Was am Südufer verschwunden ist, zeigt sich am Nordufer in voller Grösse. Fast wie eine Fata Morgana in der Flusslandschaft erscheint das vormalige Produktionsareal der Cellulose Attisholz, sobald man die Brücke über die Aare betritt. Alles überragend: Der Säureturm des Solothurner Ingenieurbüros Moos & Jäggi aus den Jahren 1928/29, in dem die für die Abspaltung des Lignins aus dem Holzbrei nötige Säure mithilfe des Calciumbi­sulfit-Verfahrens hergestellt wurde: durch mit Kalkstein gefüllte Röhren, von oben mit Wasser berieselt, von unten mit Schwefeldioxid bedampft. Aus einem Ster Holz konnten so 170 Kilo Cellulose gewonnen werden. Auch eine Reihe weiterer Bauten sind beeindruckend, etwa die dem Säureturm benachbarte Kiesofenhalle (zwischen 1951 und 1953 erbaut), eine filigrane Eisenbetonstruktur mit Sprossenfenstern mit den imposanten Dimensionen von 30 mal 100 Metern und einer Höhe von 26 Metern.

Während anderenorts Industrieareale schnellstens umgenutzt und zur Unkenntlichkeit entstellt werden, hat sich Halter dafür entschieden, für das Attisholz-Areal eine sanfte und sukzessive Transformationsstrategie zu entwickeln und setzt diese mit einer schrittweisen Arealöffnung seit 2018 um. Mitte 2022 verkaufte man das 73 000 Quadratmeter messende Kernareal (Attisholz uno) an die Pensionskasse der UBS. Als Entwicklerin und Baurechtsnehmerin bleibt Halter aber für die Transformation des Areals verantwortlich und behält das übrige Gelände mit 420 000 Quadratmetern (siehe auch «Baurecht, Landwert und zwei ungleiche Partner», S. 134). Im Kernareal sollen 740 Wohnungen entstehen, ausserdem mehrere Hundert Arbeitsplätze.

Der geschützte Säureturm ist das ikonische und weithin sichtbare Wahrzeichen das Quartiers. Dass es gelingt, ihn – wie vom Siegerprojekt angedacht – zum Aussichtsturm umzufunktionieren, ist noch nicht sicher und bedarf weiterer Abklärungen.

Stärkung der bestehenden Charakteristika

2021 hat der Kanton Solothurn die Nutzungsplanung für das Attisholz-Areal genehmigt, die vorab in einer Planungsgruppe aus Gemeinde, Kanton und Halter erarbeitet wurde. Dabei legte Halter grossen Wert auf die abgestimmte Entwicklung mit Gemeinde und Kanton sowie die Partizipation der Bevölkerung.

Als nächster Schritt erfolgte ein Studienauftrag zur Freiraumplanung, den die Wiener Büros DnD Landschaftsplanung unter der Leitung von Anna Detzlhofer und FSA Architektur, geführt von Regina Freimüller-Söllinger, mit ihrem Projekt «Schicht für Schicht» gewannen. Die beiden Planerinnen setzen mit ihren Teams architektonisch auf den Dialog zwischen Alt und Neu, sodass der historische Baubestand zu grossen Teilen bewahrt bleiben und inszeniert werden kann. Zusätzliche Kubaturen werden so integriert, dass sie die Bestandsgebäude nicht dominieren. Wichtig ist dabei der Gedanke der städtebaulichen Porosität: Die baulichen Setzungen lassen Wege und Sichtbeziehungen frei, sodass die spezielle Topografie des Orts erlebbar bleibt. Durch das Versetzen und das Abtreppen der Volumina wird dieser grundlegende Gedanke fortgeführt.

Die Lektüre der landschaftlichen Schichtung mit ihren übereinandergestaffelten Terrassen führte zur Identifizierung von vier Ebenen, die schon jetzt unterschiedliche Charakteristika besitzen. Es beginnt mit dem Aarequai, der das Flussufer ganz im Süden flankiert und sich zum Landschaftsraum der Aare hin öffnet. Der Attisboulevard ist als frühere Erschliessungsachse der Cellulosefabrik industriell geprägt; hier soll der raue Charakter erhalten bleiben. Das gilt auch für das eine Geländestufe höher gelegene Kochereiplateau mit markanten Bauten wie dem Säureturm und der Kiesofenhalle. Der Attiscampus ganz im Norden wirkt hingegen eher intim und bildet einen Gegenpol zu den urbanen und öffentlichen, tiefer gelegenen Bereichen des Areals.

Die vier horizontalen Ebenen, die durch bestehende Geländekanten voneinander abgesetzt sind, werden zukünftig durch bauliche und landschaftsplanerische Interventionen in ihrem unterschiedlichen Ausdruck gestärkt. Hinzu kommt eine Optimierung der vertikalen Erschliessungen in Form von Treppen und Rampen, so einer breiten Panoramatreppe, die zukünftig vom Attisboulevard zum Kochereiplateau führt und damit auch die Zugänglichkeit des Areals von Norden aus verbessert.

Der Masterplan von DnD und FSA überzeugt durch seine Mischung aus der klaren Lektüre des Orts und zurückhaltenden Interventionen, welche die bestehenden Potenziale nutzen und stärken. Zudem besitzt er genügend Flexibilität hinsichtlich zukünftiger Nutzungen, die sich angesichts eines Zeithorizonts von möglicherweise mehr als zwei Jahrzehnten ändern können. Der erste einer Reihe von Wettbewerben für Teilgebiete auf Grundlage des landschaftsplanerischen und städtebaulichen Masterplans wurde im Dezember 2022 entschieden. Burckhardt + Partner gewannen einstimmig mit einem sehr überzeugenden Beitrag die Konkurrenz für das Kochereigebäude.
→ www.attisholz-areal.ch

Geländeschnitt: Gut erkennbar ist das abfallende Terrain zur Aare hin. Einige Gebäude sollen aufgestockt, andere im Volumen sanft reduziert werden.
Die volumetrische Perspektive zeigt die sich vom Fluss weg am Hang empor­staffelnden Baukörper des vormaligen Industrieareals der Cellulose Attisholz.
Mit dem Platz an der Aare will Anna Detzlhofer das Konversionsprojekt starten. Hochstämmige Bäume vermitteln an die anschliessenden Freiräume.

DnD Landschaftsplanung ZT KG

DnD Landschaftsplanung wurde 2012 von Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic in Wien gegründet und agiert als Zivil­technikerbüro für Landschaftsplanung und Landschafts­archi­tektur. Die bearbeiteten Themenfelder sind Wohnbau, Bildungs- und Gewerbebau sowie öffentlicher Raum; die Projekte resultieren zumeist aus Wettbewerben. Anna ­Detzlhofer gründete in den 1990er-Jahren das Büro ­Detzlhofer in Wien. Sie arbeitete mehrfach mit Adolf Krischanitz zusammen, so beim Wettbewerb für den Messeplatz Basel (1997) und bei der Mustersiedlung Hadersdorf (2002–2007) in Wien. Seit 2017 ist sie Mitglied im Gestaltungsbeirat der Stadt Salzburg.
→ www.dnd.at

Freimüller Söllinger Architektur ZT GmbH

FSA entstand 2016 unter Regina Freimüller-Söllinger in Wien. Nach Studienjahren an der TU Wien, der University of Michigan und der Architecture Association School of Architecture London war Regina Freimüller-Söllinger 1998 bis 2013 Forschungsassistentin und Dozentin an der ETH Zürich. Zu ihren viel beachteten Projekten zählen unter anderem die Siedlung Tivoligasse (2019) und die Siedlung Florasdorfer Spitz (2022), beide in Wien.
→ www.freimueller-soellinger.at

Anna Detzlhofer (62) lebt und arbeitet in Wien. Sie ist seit 2022 Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA).

Die Wiener Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer gewann 2022 mit ihrem Team von DnD Landschaftsplanung den Wettbewerb für die Freiraumplanung Attisholz in der Nähe von Solothurn. Seitdem arbeitet sie an der Frage, wie das ehemalige Industrieareal für die anstehende Umnutzung zu einem gemischten Quartier konzipiert werden kann.

Komplex: Frau Detzlhofer, was waren Ihre Eindrücke vom Attisholz-Areal, als Sie es das erste Mal besucht haben? Worin haben Sie Potenziale gesehen, worin vielleicht auch Probleme?

Anna Detzlhofer: Extrem beeindruckend für uns war die vertikale Struktur der Schichtungen am Hang – aber auch die Weite der Landschaft. Wenn man von Norden, also von der Gemeinde Riedholz kommt, sieht man sich fast unerwartet mit der gigantischen Massstäblichkeit der Bauten konfrontiert und blickt über die Aare hinüber auf die Ebene, die sich auf der anderen Uferseite anschliesst. Und dann sind da natürlich die Relikte der Industriearchitektur, die dort ein dichtes, gestaffeltes Ensemble bilden – Hallen, Säureturm, Kesselbecken. Das Arrangement der Bauten ist historisch gewachsen, das könnte man gar nicht in einem Zuge erstellen. Wir konnten nur froh sein, hier arbeiten zu dürfen.

Das Projekt, mit dem Sie letztlich im Wettbewerb erfolgreich waren, heisst «Schicht für Schicht». Ganz praktisch gesprochen: Wie haben Sie die Grundideen entwickelt? 

Es gab eine erste offizielle Begehung mit allen Beteiligten, an der wir natürlich dabei waren. Wir haben uns aber dann noch einen weiteren Tag Zeit genommen, nicht zuletzt deswegen, weil wir – anders als in Wien – nicht so schnell wieder vor Ort sein konnten. Dieser Tag war äusserst hilfreich, und es hat sich für uns schon einiges geklärt. Die ersten Themen ergaben sich aus der intensiven Begehung des Areals. Wir haben unser Projekt «Schicht für Schicht» genannt, weil die Topografie eine wesentliche Rolle spielt. Zum einen die charakteristische Topografie des Geländes, das steil zur Aare hin abfällt, und zum anderen die historischen Schichten. Naturräumlich lassen sich die Schichten auch als Sedimentschichten verstehen. Das war der Ursprung einer Idee für eine konsequente Materialisierung. Wir wollten das Thema von Schichten, von Gesteinskörnungen, die ja unten grob sind und in der Regel nach oben hin immer feiner werden, zunächst in das Projekt einfliessen lassen. Aber das hat sich dann in dieser Abstraktion nicht übertragen lassen.

Was stand diesem Gedanken entgegen?

Wir dachten an die Frage der Oberflächenbeläge: Unten grobkörniger, oben feinkörniger, das war die Idee. Aber es funktionierte mit der Bespielung und der Nutzung nicht. Dennoch war der grundlegende Gedanke sehr hilfreich für unsere weitere Arbeit: Wir sind auf diese Weise auf das Thema der Schichten gekommen, das wir dann in anderer Form interpretiert haben. Wenn man das Gelände besucht, ist man fasziniert von der vertikalen Staffelung, von den Gebäuden, die auf verschiedenen Ebenen organisiert sind. Als Landschaftsarchitektinnen wollen wir nicht einfach überall Grün haben, sondern die Charaktere der Freiräume stärken. Für mich als Referenz wichtig war die Villa d’Este in Rom. Um den Palast mit Renaissancegarten existiert eine Hangsituation, es gibt Wasser, besonders wichtig aber sind die Terrassen, von denen aus sich immer wieder ein Panorama eröffnet. Aufgrund dieser Blicke erschliessen sich die räumlichen Dimensionen der Anlage. Das lässt sich recht gut übertragen auf die Situation im Attisholz.

Das Attisholz-Areal soll vom Ufer aus nach oben hin entwickelt werden. Können Sie die einzelnen von Ihnen definierten Bereiche mit ihren Charakteristika kurz vorstellen?

Ganz unten liegt das Aarequai mit dem Platz an der Aare. Diesen möchten wir gern in den Fluss hinaus verlängern, weil sich von dort aus ein fantastisches Panorama bietet und er einen Echoplatz zur Nutzung vis-à-vis darstellt. Oberhalb verläuft der Attisboulevard mit Drehscheibe und der Brücke zum anderen Ufer sowie dem Bärengraben, einer imposanten Tunnelstrecke. Der Attisboulevard ist eigentlich der urbanste Teil, der auch kulturell und gastronomisch schon verankert ist. Eine Geländestufe höher erreicht man das Kochereiplateau mit seinen Höhenversprüngen sowie markanten baulichen Zeugnissen wie dem Säureturm und dem Kesselbecken. Das Kochereiplateau ist wahrscheinlich für die Leute aus dem Quartier der wichtigste Ort. Wenn man oben in Riedholz wohnt, dann fungiert diese Ebene als Verteiler, von der aus sich das ganze Areal erschliessen lässt. Über das Kochereiplateau und die Kiesofenhalle wird später auch das weiter östlich gelegene neue Wohnquartier angeschlossen werden. Zuoberst schliesslich befindet sich der Attiscampus, der allerdings erst zuletzt entwickelt wird. Er besitzt einen gartenartigen, introvertierten Charakter, während die anderen Bereiche eher öffentliche Räume sind.

Mit welchen Elementen arbeiten Sie, um die unterschiedlichen Charaktere der Freiräume zu stärken? 

Zunächst gibt es ein Bepflanzungskonzept, das verschiedene Schwerpunkte hat. Oben auf dem Attiscampus haben wir mehr die Streu­obstwiesen, auf dem Kochereiplateau die Nieder­waldpflanzgesellschaften. Der Attisboule­vard wird von Pionierwaldcharakter und Einzelgehölzen geprägt, und am Aarequai schliesslich sind es eher hochstämmige Bäume. Natürlich stellt sich immer wieder die Frage, wo und welches Grün in einem derartigen Industriekomplex sinnvoll ist. Wasser ist überdies ein wichtiges Thema. Wir möchten das Inselbächli wieder frei­legen, das heute unterirdisch verläuft, und auch sonst Wasser an verschiedenen Stellen erlebbar machen, ob als Wasserspiel, als geflutetes Becken oder als Brunnen. Dann gibt es immer wieder schon bestehende kreisförmige Elemente wie Kessel, Tanks und Becken. Auch dieses Thema nehmen wir auf und spielen es weiter – zum Beispiel in der Möblierung der öffentlichen Räume oder bei der Beleuchtung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns natürlich auch das Recycling: Werden wir Materialien aus den bestehenden Gebäuden weiterverwenden, also Bauteile retten und eventuell anderswo auf dem Gelände einbauen können?

Der Ausgangspunkt Ihres Konzepts ist der Platz an der Aare. Er liegt direkt am Ufer und wird eine der ersten Interventionen auf der Basis Ihrer Ideen sein.

Für uns ist der Platz an der Aare so etwas wie ein Testfeld: Wie sieht die Topografie aus, wie verbindet sich der Freiraum mit den umliegenden Gebäuden, wie verhält es sich mit den Nutzungen? Wichtig ist für uns auch die besagte Plattform als Erweiterung in den Fluss. Der Eingriff in die Uferzone ist rechtlich gar nicht so leicht umzusetzen. Aber uns wurde zugestanden, abschnittweise Gehölz zu roden. Besonders wichtig ist uns der Bezug zum gegenüberliegenden Ufer der Aare. Dort befand sich ursprünglich das südliche Areal der Cellulosefabrik Attisholz mit gewaltigen Holzlagern. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Das Büro Mavo Landschaften aus Zürich hat dort 2018/2019 den Uferpark Attisholz Süd realisiert. So wie ursprünglich beide Industrieareale miteinander verbunden waren – die Anlieferung der Holzschnitzel erfolgte vom Südareal aus mittels der Bahnbrücke –, wollen wir auch die Freiraumgestaltung auf beiden Seiten des Flusses miteinander in Beziehung setzen. Darum muss der Platz an der Aare auch als landschaftlich geprägter Raum erlebbar sein. Das Problem ist die grosse Rampenspindel, die seit einigen Jahren dort steht. Wir können nicht auf sie verzichten, aber sie wirkt wie ein Fremdkörper. Daher überlegen wir uns Strategien, sie etwas aus dem Blickfeld zu nehmen. Der Platz selbst fällt mit vier Grad zum Ufer hin ab. Er darf auf keinen Fall gepflastert oder versiegelt sein. Wir stellen uns eine Kiesdecke vor.

Also ist gerade die Frage der Oberflächen für Sie wichtig.

In der Tat. Denn die Oberflächen definieren den Charakter von Freiräumen. Ich vergleiche es gern mit Textilien: Die Wahl des Stoffs definiert schon den Charakter des Kleides. Aus Filz wird etwas komplett anderes als aus Samt oder Seide. So sollte der Attisboulevard beispielsweise eine raue und industrielle Anmutung besitzen.

Das Interessante an Ihrem Konzept ist, dass es sich nicht nur auf die Freiraumplanung fokussiert, sondern auch architektonische Ansätze aufweist.

Die architektonischen Aspekte sind von den städtebaulichen und den freiraumplanerischen Aspekten ja nicht zu trennen. Wie schon bei ­einigen anderen Projekten arbeiten wir auch diesmal mit der Wiener Architektin Regina Freimüller-Söllinger zusammen. Der Austausch ist sehr ­­bereichernd, die Inputs von ihr sind jedes Mal wieder eine grossartige Ergänzung. Wir haben zu Beginn des Projekts von Halter ein 3D-Volumenmodell erhalten, mit dem wir arbeiten und unsere Thesen visualisieren und prüfen konnten. Damit kamen Fragen auf wie: Wo ordnen wir was an? Welche Baumasse bleibt bestehen? Wo kommt etwas Neues? Ein zentrales Thema für Regina Freimüller-Söllinger war die Porosi­tät in der Bebauung, um Blickbeziehungen und Durchwegungen zu ermöglichen. Dabei waren uns die Schnitte besonders wichtig, denn dort, wo man eine Topografie hat, kann man ohne Schnitte nicht arbeiten. Die Verschränkung der Ebenen über die Gebäude ist zentral. Wir wollten also vielfach mehr Durchlässigkeit. Das bedingt natürlich, dass die Baumasse, die man an einer Stelle entfernt, an anderer Stelle kom­pensiert werden muss. Sonst wird es für die Auftraggeber zum Problem. Wichtig war auch die Höhenfrage, denn im ersten Modell gab es Gebäude, die so hoch waren wie der Säure­turm. Wir haben gefunden, dass das gar nicht geht. Es kann nicht sein, dass ein Gebäude den Säureturm wegdrückt. Heute besteht Konsens darüber, dass der Säureturm die Dominante bleiben wird. Allerdings wissen wir noch nicht, wie man ihn konkret nutzen kann. Ein Aussichts­café ist nicht möglich, und ob der Säureturm zukünftig als Aussichtspunkt dienen kann, ist noch zu klären.

Wie stellt sich das Projekt Attisholz im Vergleich zu anderen Projekten dar, an denen Sie gerade arbeiten?

Attisholz ist für uns ein aussergewöhnliches Projekt – aufgrund seiner historischen Tiefe, der topografischen Situation und seines gewaltigen Massstabs. Mit so einem Luxus an Raum sind wir nicht jeden Tag konfrontiert. Speziell war auch die Tatsache, dass wir uns zu einem sehr frühen Zeitpunkt einbringen konnten, nämlich bevor die urbanistischen und architektonischen Festlegungen gefallen waren. Für mich als Landschaftsarchitektin ist es eine ideale Voraussetzung, wenn nicht alles schon definiert, sondern die Beweglichkeit auch im Städtebau noch gegeben ist. Entscheidungen, die städtebaulich nicht gut sind, kann man auch in der Freiraumplanung nicht korrigieren. Daher war für uns die Herangehensweise von Halter vorbildlich.

Nicht zuletzt die Klimakrise führt zu einem verstärkten Interesse an der Landschaftsarchitektur. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Für uns ist der grosse Massstab zentral. Bei einem kleinen Bauprojekt können wir vielleicht Fassaden begrünen oder einen Dachgarten anlegen. Aber der Klimakrise im städtischen Kontext wirklich zu begegnen, gelingt nur auf der übergeordneten Quartierebene. Denn die wirklich resilienten Konstanten im Stadtgefüge sind die Freiräume. Architektur ist letztlich statisch, Freiräume ermöglichen Bewegung. Die Bewegung ist für mich eigentlich die Essenz der Freiraumplanung.

Spannend am Attisholz-Projekt ist ja, wie Sie mit dem vorgefundenen Bestand umgehen. Industriebrachen bieten immer die Gefahr der Romantisierung. Das ist selbst bei dem zu Recht viel gelobten Landschaftspark in Duisburg-Meiderich von Peter Latz der Fall: Das einstige Hüttenwerk wirkt heute wie ein romantisches, surreales Objekt in einem Landschaftspark.  

Die Ideenfindung war auch nicht einfach, weil die klassischen Elemente eines Parks hier nicht greifen. Denn auch wenn das Attisholz heute den Charme der Abgelegenheit besitzt, werden hier in Zukunft mehrere Tausend Menschen wohnen und arbeiten. Darum ist auch räumliche Differenzierung nötig, die wir durch das Herausschälen der unterschiedlichen Bereiche und Atmosphären zu erzielen versuchen. Ein einheitliches Konzept über das ganze Areal zu ziehen, wie es andere Wettbewerbsbeiträge versucht haben, wäre für mich nicht angemessen gewesen. Das war nicht unser Zugang.

Angemessenheit ist ein wichtiges Thema. Es gibt einerseits die Möglichkeit des einheitlichen Konzepts, das der Komplexität und der Heterogenität des Bestands nicht gerecht wird, aber vielleicht dank repetitiver Elemente einen Wiedererkennungseffekt besitzt. Und dann gibt es die Möglichkeit extrem kleinteiliger und kapillarer Interventionen. Es scheint, Ihr Konzept findet den Mittelweg, weil es genug Kraft entwickelt und sich doch auch in Zurückhaltung übt. Das ist eine gute Kombination, gerade angesichts der Tatsache, dass sich der gesamte Transformationsprozess über einen langen Zeitraum erstreckt und damit Veränderungen möglich sein müssen.

Es freut mich, dass meine Herangehensweise verstanden wird. Mit so einem langen Planungshorizont umzugehen, ist nicht ganz einfach. Aber ich bin zuversichtlich, dass es funktionieren wird!

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2023 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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