Braucht es einen Wettbewerb?

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  • Manfred Huber
  • Mario Marti
  • Markus Mettler
  • Sennen Kauz

Die integrierte Projektabwicklung steht ausser Frage. Doch braucht es einen Wettbewerb zur Erreichung von Funktionalitäts-, Kosten-, Qualitäts- und CO₂-Zielen? KOMPLEX stellte diese Frage einer Expertenrunde.

Dr. Mario Marti

DR. MARIO MARTI ist Rechtsanwalt und Managing Partner des Berner Standorts von Kellerhals Carrard, einer schweizweit tätigen Anwaltskanzlei. Er ist auf das private Baurecht sowie das Beschaffungsrecht spezialisiert und interessiert sich stark für neue Entwicklungen in der Bauwirtschaft. Seit 2006 fungiert er als Geschäftsführer von suisse.ing, der Schweizerischen Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen.
→ kellerhals-carrard.ch

Neue Zusammenarbeitsmodelle – egal, wie sie genannt werden – sind eine grosse Chance für die Bauwirtschaft. Schlüsselelemente sind: die Vergabe einer Gesamtleistung, integrative Organisationsformen, anreizbasierte Vergütungssysteme und die Zusammenarbeitskultur. Mit seinem Merkblatt 2065, «Planen und Bauen in Projektallianzen», das im Sommer dieses Jahres erscheinen soll, schafft der SIA eine gute Grundlage für derartige neue Abwicklungsmodelle. Selbstverständlich sollen die Zusammenarbeitsmodelle dazu dienen, die Ziele des Bauherrn in optimaler Weise zu erreichen. Allianzmodelle bieten beste Voraussetzungen dafür: Bereits im Auswahlprozess (üblicherweise im Rahmen eines Dialogs) wird der Auftraggeber die künftigen Partner an seinen Zielen messen. Im Rahmen der Festlegung der Zielkosten sowie der Ausgestaltung des Vergütungssystems wird der Auftraggeber seine finanziellen Ziele definieren. Und mit zusätzlichen Anreizmodellen in Form von Bonuszahlungen für das Erreichen (oder Übertreffen) von qualitativen Zielen, zum Beispiel im Bereich der Nachhaltigkeit oder der Kreislaufwirtschaft, kann der Auftraggeber massgeschneidert seine individuellen Qualitätsansprüche in den Vordergrund stellen.

Die neuen Abwicklungsmodelle sind ein Paradigmenwechsel. Die Akteure sollen nicht individuell in ihren Silos arbeiten und nötigenfalls ihre Interessen gegen die anderen Partner durchsetzen. Eine integrierte Arbeitsweise, eine teamorientierte Zusammenarbeitskultur und ein Vergütungssystem, das alle gemeinsam zu Gewinnern oder Verlierern macht, sollen eine höhere Qualität in der Realisierung komplexer Bauprojekte sicherstellen. Wie diese Qualität aussieht, ist systemunabhängig definierbar. Die Verantwortung dafür liegt – wie bisher auch – beim Auftraggeber.

Die Bauwirtschaft tut gut daran, neue Modelle als Chance zu sehen. Noch ist vieles unklar, und eine Best Practice wird sich erst etablieren müssen. Von einer besseren Zusammenarbeitskultur werden alle profitieren können.

Prof. Manfred Huber

leitet das Institut Digitales Bauen FHNW. Nach seinem Studium an der ETH Zürich führte er siebzehn Jahre ein eigenes Architekturbüro und beschäftigte sich intensiv mit neuen integrierten Werkzeugen und Methoden. Bis 2022 präsidierte er beim SIA die Kommissionen SIA 2052 BIM und CH-BK 442 BIM. Sein Schwerpunkt in Lehre und Forschung liegt in optimierten Formen der Zusammenarbeit und im Informationsmanagement.
→ fhnw.ch

Wettbewerbe sind ein geeignetes Verfahren, um innovative Lösungen zu fördern. Doch damit dies gelingt, sind passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Die von den Psychologen Richard M. Ryan und Edward L. Deci seit den 1970er-Jahren entwickelte Selbstbestimmungstheorie zeigt uns mögliche Wege auf: Die Erfüllung der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerwerb und sozialer Eingebundenheit hat einen wesentlichen Einfluss auf die erfolgreiche Lösung von Aufgaben. Doch was hat dies mit der integrierten Projektabwicklung und dem Wettbewerb zu tun?

Ziele sind wichtig. Sie dienen dem gemeinsamen Verständnis und zeigen die Richtung oder sogar die Zielpunkte auf. Oft werden sie aber mit Massnahmen verwechselt oder in frühen Phasen in einzelnen Aspekten zu detailliert beschrieben. Dadurch sind Zielkonflikte vorprogrammiert, und die Autonomie der Beteiligten in der Lösungsfindung wird stark eingeschränkt. Anreizsysteme, die Einzelleistungen in den Fokus stellen oder sehr stark auf extrinsische Motivationsfaktoren setzen, beschneiden die Autonomie zusätzlich. Die Folge davon sind Lösungen, die nicht nach dem Motto «Best for Project» entwickelt werden, sondern die bestenfalls Einzel- oder Teilziele erreichen können.

Da Wettbewerbe Innovation verlangen, enthalten sie immer auch einen wesentlichen Anteil an Forschung und Entwicklung und fördern damit gleichzeitig die Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden. Falsch gesetzte Ziele und Anreize hemmen aber die Entwicklung der Kompetenzen. Das Gleiche gilt auch für die soziale Eingebundenheit. Steht nicht das Miteinander bei der Lösungsfindung im Zentrum, sondern die Einzelleistung, so hat dies weitere negative Auswirkungen.

Setzen wir Ziele bewusst: konkret, der Projektphase entsprechend, anspruchsvoll, aber auch erreichbar. Gestalten wir die Wettbewerbsteilnahme so, dass die Projektverfassenden eine möglichst hohe Autonomie bei der Lösungsfindung haben, dass sie weitere Kompetenzen entwickeln können und dass die soziale Eingebundenheit ein wichtiger Aspekt in der Zusammenarbeit ist. Und achten wir bei der Bewertung der auszuwählenden Teilnehmenden nicht nur auf deren fachliche Kompetenzen und die angegebenen preislichen Eckpunkte, sondern vor allem auch auf ihre Fähigkeiten zum Miteinander, dem offenen, transparenten und gemeinsamen Entwickeln von Lösungen. Dann fördern wir eine möglichst hohe intrinsische Motivation im Sinne von «Best for Project».

Markus Mettler

ist diplomierter Bauingenieur ETH mit Nachdiplomstudium in Betriebswissenschaften. 2006 trat er in die Halter AG ein, war zuerst als Geschäftsführer der Geschäftseinheit Entwicklungen tätig, wurde 2010 CEO und 2015 Mitinhaber. Mit Beginn des Jahres 2024 hat er die Geschäftsführung der Halter AG abgegeben und bekleidet nun die Position des Delegierten des Verwaltungsrats der neu firmierten Halter Gruppe.
→ halter-gruppe.ch

Die Schweizer Planungs- und Baubranche ist tief geprägt vom Modell, dass zuerst Planende die Baureife erreichen und dann Ausführende die Umsetzung sicherstellen müssen. Das Wettbewerbswesen ist ebenfalls zweigeteilt. Einerseits werden in Architekturwettbewerben Projektvorschläge ohne Kostenziele und Honorarangebote abgefragt, weil die SIA-Honorarordnung – trotz der Intervention der Wettbewerbskommission im Jahr 2017 – in der Praxis noch immer fest verankert ist. Andererseits werden in Planungs- und Ausführungssubmissionen für detailliert vorgegebene Leistungen reine Preisangebote eingefordert. Dies ist der Innovationskraft der Branche abträglich, weil zuerst ohne Ausführungs-Knowhow geplant und dann ohne den notwendigen Planungsvorlauf umgesetzt wird. Die Bauwirtschaft liegt in Sachen Produktivität somit immer am Schluss jeder (Wettbewerbs-)Rangliste.

Soll die Bauwirtschaft sich zu einer Kreislaufwirtschaft transformieren, ist die Integration von Ausführenden in die frühen Planungsprozesse zwingend, weil ohne Kenntnis der konkreten Produkte sowie der entsprechenden Produktions- und Ausführungsprozesse im Rahmen eines durchgängigen Informationsmanagements nicht kreislauffähig geplant werden kann.

Aber wie kann man sicherstellen, dass Bauherren von ausführenden Unternehmern, die von Anfang an mitplanen, auch Marktpreise für die Ausführung erhalten? Ohne Wettbewerb, dafür mit gemeinsamer Zielkostendefinition, Open Book, einem «Best for Project»-Versprechen und Risikotragung durch den Bauherrn, wie es im Allianzmodell oder bei der integrierten Projektabwicklung (IPD) stipuliert wird? Das mag im Einzelfall funktionieren, aber sicher nicht generell. Besser ist, wenn Produkt-, Qualitäts-, CO₂- und Kostenziele basierend auf einem funktionalen Beschrieb gleich zu Projektbeginn im Rahmen eines transparent umgesetzten Wettbewerbs verbindlich bestimmt werden. Dies ergibt in der Folge für den Bauherrn eine höhere Sicherheit, für alle Beteiligten ein «alignment of interests» (gleich ausgerichtete Interessen) und damit eine bessere Baukultur als bisher. Das siegreiche, integrierte Wettbewerbsteam ist so in der Lage, nachgelagert im Engineeringprozess CO₂-technische, finanzielle und zeitliche Innovationen umzusetzen – basierend auf konkreten Material- und Ausführungskennwerten.

«Vom Ziel haben viele Menschen einen Begriff, nur möchten sie es gern schlendernd erreichen.» Dieses Zitat wird Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben und hat gerade im Kontext des Netto-Null-Ziels in der Bauwirtschaft besondere Aktualität. Innovation ja, Wettbewerb nein – hier ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens!

Sennen Kauz

hat am Deutsch-Französischen Hochschulinstitut in Saarbrücken (D) Bauingenieurwesen studiert, in Angers (F) einen Master in Betriebswirtschaft und in Archamps (F) nahe Genf einen MBA in Procurement absolviert. Seit April 2018 ist er als Executive Director und Head Real Estate Transactions / Development & Construction bei der Swiss Life Asset Management AG in Zürich tätig.
→ swisslife-am.com

Die Entscheidung, ob man bei der integrierten Projektabwicklung einen Wettbewerb einbezieht oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschliesslich der spezifischen Ziele des Projekts, der verfügbaren Ressourcen und der Erfahrung aller Beteiligten.

Wir haben bis 2050 ein gemeinsames Ziel: die Dekarbonisierung des Immobilienbestands entsprechend des 1,5-Grad-Zielpfads des Pariser Klimaabkommens. Stand heute, ist diese Zielerreichung mehr als gefährdet. Einerseits fehlen in der Planung und Produktion die notwendigen Ressourcen, anderseits gibt es in den Bewilligungs- und politischen Prozessen zu viele Einschränkungen sowie bürokratische Herausforderungen, welche zu erheblichen Zeitverzögerungen führen.

Ein Wettbewerb kann dazu beitragen, die besten Lösungen zu identifizieren und den Anreiz für Innovation zu erhöhen. Es ist jedoch auch möglich, die Ziele durch Zusammenarbeit und Konsens, also in einem partnerschaftlichen Dialogverfahren (Modell) zu erreichen, ohne einen formellen Wettbewerb durchzuführen. Die Automobilindustrie hat schon vor Jahrzehnten mit integralem Supplier-Management vorgemacht, welcher Mehrwert mit dieser Strategie abzuschöpfen ist. Hier muss auch in der Immobilienbranche ein massives Umdenken stattfinden, disruptiv mit Mut für neue Arbeitsmethoden.

Eine Chance liegt in der integralen Planung, damit mehrheitlich ein Synergie- statt ein Schnittstelleneffekt genutzt werden kann. Dank einer integralen, einheitlich gesteuerten Projektorganisation durch einen Gesamtleister werden die verschiedenen Leistungen respektive Projektpartner im Zusammenwirken zu einem effizienteren Ergebnis geführt.

Um aus Bauherrensicht wirksam die finanzielle sowie treuhänderische Verantwortung wahrnehmen zu können, sollte die Planung durch die Kosten und funktionalen Vorgaben gesteuert werden, und nicht umgekehrt. In einem «Design-to-Cost»-Modell wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der Parteien ohne Wettbewerb angestrebt, welche dialogbasierend den Aufwand zeitlich wie finanziell erheblich reduziert. Voraussetzung dafür ist, dass der Unternehmer auf Basis objektiver Kriterien festgelegt wird und sich alle Parteien am Anfang über die Projektziele einig sind.

Objektive Kriterien beziehen sich in erster Linie auf das Projekt und dessen Umfeld. Es gibt also kein Patentrezept. Jedes Projekt sollte in Bezug auf die Marktsituation, Lokalität und allgemeine Stakeholder wie etwa das gesellschaftliche Umfeld bewertet werden. Es geht weniger um technische Aspekte, vielmehr um die Fähigkeit, multidisziplinär verschiedene Interessentengruppen abzuholen und zu managen.

Ein weiterer Anreiz besteht aus Bauherrensicht darin, dass der Auftragnehmer beziehungsweise Unternehmer sowie seine Planer bereit sind, bis zu einem gemeinsam festgelegten Zeitpunkt, zum Beispiel einer Baueingabe, in Vorleistung zu arbeiten. Was auf den ersten Blick vielleicht etwas einseitig wahrgenommen wird, hat vor allem zum Ziel, dass die Planung zielfokussiert, effizient und kostenkonform gesteuert wird. Je früher eine Baueingabe getätigt werden kann, desto weniger dauert aus Unternehmersicht die Zeit ohne Einnahmen.

Für ein Umdenken alteingesessener Prozesse können disruptive Methoden und Erfahrungen aus anderen Industrien helfen, um die gesellschaftlich ambitionierten Ziele (Dekarbonisierung, verfügbarer Wohnraum, tragbare Mieten usw.) erreichen zu können. Eine integrierte Projektabwicklung ohne Wettbewerb und im Dialog sollte unbedingt als Alternative zu den bestehenden Modellen umgesetzt werden. Es geht nicht um einen Vergleich, sondern mehr darum, die Vielfalt zu fördern. Letztlich sollte die Methode gewählt werden, die am besten zu den Bedürfnissen und Zielen des jeweiligen Projekts passt.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2024 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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