«Das partner- schaftliche TU-Modell dient uns heute als Standard»
Christian Geser leitet die Immobilienabteilung der Stiftung Abendrot, einer Pensionskasse mit Fokus auf Nachhaltigkeit. Im Sarganserland arbeiten er und sein Team am Grossprojekt Flumserei. Die ehemalige Spinnerei Spoerry in Flums soll saniert und zu Wohnraum umgewidmet werden.
Die 1984 in Basel gegründete Stiftung Abendrot gehört mit 1250 angeschlossenen Unternehmen und über 15 000 Versicherten zu den grösseren Vorsorgeeinrichtungen in der Schweiz. Ziel der Pensionskasse ist es, ihren Versicherten mit nachhaltigen Anlagen eine sichere Rente zu garantieren und zugleich einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen. Dies gilt auch für die Immobilieninvestments. Eines davon ist die in der Umnutzung befindliche ehemalige Spinnerei Spoerry. Sie bietet schon heute Räume für lokales Gewerbe und Veranstaltungen, jetzt sollen weitere Mietflächen und über hundert neue Wohnungen hinzukommen. Wir trafen uns vor Ort mit Christian Geser, dem Leiter der Immobilienabteilung der Stiftung Abendrot.

2020 übernahm die Stiftung Abendrot die Flumserei. Wie kommt eine Vorsorgestiftung aus Basel dazu, ein riesiges Areal mit einem alten Fabrikgebäude im St. Galler Oberland zu erwerben?
Viele interessante Projekte werden uns zugetragen. So auch dieses. Über einen privaten Kontakt aus unserem Netzwerk hörten wir vom Bieterverfahren, in dessen Rahmen die Familie Spoerry geeignete Käufer für ihr Areal suchte. Die Nachfahren der Industriellenfamilie, die dort mehr als 150 Jahre lang Baumwollgarne produziert hatte, haben die Fabrikation schon vor längerer Zeit stillgelegt. Mit einem neuen Nutzungskonzept für Gewerbe und Events wurde die Marke Flumserei ins Leben gerufen. Doch der Hauptbau wartet noch auf seine Umwidmung in Wohnungen. Wir konnten also auf ein bestehendes Projekt aufspringen.
Warum bekamen Sie den Zuschlag?
Überzeugend war offenbar, dass wir im Bieterverfahren darlegen konnten, wie wir die Geschichte und die Eigenart der Flumserei weiterführen wollen und zudem in der Lage sind, die dafür notwendigen grossen Investitionen sowie die Komplexität des Projekts zu stemmen.
Was macht das Vorhaben für Sie so interessant?
Die Kombination von Wohnen und Arbeiten an einem Ort ist etwas, das wir grundsätzlich gut finden. Bei allen Projekten mit einem Gewerbeanteil streben wir eine gemischte, bedarfs- und mietergerechte Nutzung an. Damit unterscheiden wir uns von den meisten anderen Vorsorgeeinrichtungen, die bei ihren Immobilienanlagen die Nutzungsarten stärker trennen. So haben wir in unserem Portfolio auch keine reinen Bürohäuser. In der Flumserei existierte bereits ein sanierter und umgenutzter Gebäudetrakt mit Gewerbeeinheiten, der voll vermietet war, sowie ein Eventbetrieb. Und es lag ein Projekt für Wohnungen vor, das wir weiterentwickelt und optimiert haben. Wir nehmen jetzt, gemeinsam mit Halter Renovationen als Totalunternehmer (TU), die Sanierung und Umnutzung des Hauptbaus in Angriff. Parallel dazu erneuern wir in einem kleineren Projekt im konventionellen Modell verschiedene historische Nebenbauten.
Welche Herausforderungen stellen sich dabei?
Zum einen die Dimension: Die Flumserei ist auch für unsere Verhältnisse ein grosses Vorhaben. Zum anderen die baulichen Anforderungen: Zu berücksichtigen sind nicht nur die Vorgaben des Baurechts und des Denkmalschutzes, sondern auch Konstruktion und Materialwahl. Zudem hat die technische Lösung für den dreissig Meter tiefen Baukörper mit starrem Stützen- und Fensterraster viel Zeit und Energie beansprucht. Und natürlich die Kosten. Uns ist es wichtig, dass der Wohnraum für unsere Mieterinnen und Mieter bezahlbar bleibt.


Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Halter?
Wir kennen uns von mehreren grösseren Vorhaben, die wir gemeinsam realisiert haben beziehungsweise derzeit noch umsetzen. In einer ersten Phase entwickelt die Stiftung Abendrot ihre Projekte inhaltlich, typologisch und immobilienwirtschaftlich in Eigenregie. In der Regel folgt in einer zweiten Phase ein Evaluationsverfahren unter einer Handvoll an Qualität und Kooperation interessierten Gesamtleistern. Dabei geht es um die Frage, ob diese das vorliegende Projekt gemäss unseren inhaltlichen und wirtschaftlichen Zielen ausführen können, oder, wenn nicht, mit welchen Massnahmen und Innovationen eine Realisierung doch möglich wäre. Im Falle der Flumserei hat uns Halter mit der Zusicherung des, ich sage mal, sehr sportlichen Kosten- und Terminrahmens sowie mit innovativen Optimierungsinputs überzeugt. Das mündete in eine exklusive Entwicklungsvereinbarung, auf deren Basis wir jetzt zusammenarbeiten.
Was charakterisiert diese Vereinbarung?
Grundlage waren die Bestandteile des Vorprojekts Plus mitsamt dem Kostendach und allen Anforderungen, die wir definiert haben. Halter hat uns zugesichert, das Bauvorhaben innerhalb eines festgelegten Zeitfensters auf eigene Kosten und Risiken – mittels Design-to-Cost-Ansatz – partnerschaftlich zu einem bewilligungsfähigen Bauprojekt weiterzuentwickeln. Wird dieses Ziel erreicht, folgt daraus der klassische TU-Vertrag. Wir haben mit einem solchen Vorgehen so gute Erfahrungen gemacht, dass uns das Modell heute als Standard für alle grösseren Projekte dient.
Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns!
Einer der grössten Vorteile einer solchen Zielpreisbestätigung ist, dass der TU einen Anreiz hat, innovative Ideen einzubringen, um innerhalb des Kostenrahmens zu bleiben. Das kann zum Beispiel eine neu gedachte Anordnung der Haustechnik sein, die geringere Betriebskosten zur Folge hat, oder wie hier in der Flumserei die praktisch kostenneutrale Erneuerung der obsoleten Tragstruktur in Holzsystembauweise anstatt mit konventionellen Betondecken und -stützen. Also etwas, das unseren Vorstellungen von Nachhaltigkeit entgegenkommt.
Generell erreichen wir unsere Ziele mit partnerschaftlich realisierten Projekten besser, auch wenn im Moment der Entscheidung die Einzelheiten für die Vertragspartner noch nicht spezifiziert sind.
Bis ins Detail zu Ende geplante Projekte, die im Rahmen einer üblichen TU-Ausschreibung vergeben werden, behindern innovative und unternehmerische Problemlösungen und Optimierungen in der Konzeptionsphase. Sie erfordern nach unserer Erfahrung in der Regel sogar eine zusätzliche, grundlegende Projektüberarbeitungsrunde.
Projektänderungen kommen häufig vor. Wie sprechen Sie sich ab?
Transparenz ist entscheidend. Änderungen müssen immer von beiden Seiten getragen werden. Alle zwei bis vier Wochen trifft sich die Baukommission physisch oder virtuell zu einer Sitzung. Planer und Projektleiter sind im steten Austausch.
Wichtig bei dieser Art der Zusammenarbeit ist, genau zu wissen, was man will. Wie erreichen Sie mit Ihrem Team die nötige Bestellerkompetenz?
In erster Linie durch Erfahrung. Wir sind ein kleines, interdisziplinäres Team, das weiss, wie solche Prozesse zu führen sind. Bei grösseren Vorhaben ziehen wir Spezialistinnen und Spezialisten hinzu, ausserhalb der Region Basel auch zusätzlich eine externe Bauherrenvertretung.
Auszuhandeln ist auch die Aufteilung der Risiken. Was übernehmen Sie?
Der Vertrag zeichnet klare Schnittstellen auf. Alles, was der TU nicht selbst beeinflussen kann, liegt bei uns als Bauherrschaft. Das können die Geologie im Baugrund sein oder versteckte Altlasten, aber auch zusätzliche Auflagen seitens der Behörden oder Änderungen in den Baugesetzen. Kosten und Risiken für Planung und Realisation sowie die Einhaltung der Termine liegen dagegen beim TU.
Und wenn die in der Entwicklungsvereinbarung definierten Ziele nicht erreicht werden?
Dann würden wir die Übung abbrechen und auf Feld eins zurückgehen, also zur TU-Evaluation. Dieser Fall ist aber bisher noch nie eingetreten.

Das Modell weckt andernorts Interesse. Wer hat schon bei Ihnen angeklopft?
Ähnlich orientierte institutionelle Investoren, darunter Pensionskassen, Anlagestiftungen, gemeinnützige Stiftungen und Genossenschaften. Einige haben gemischte Erfahrungen gemacht bei grösseren und komplexen Projekten im konventionellen Modell mit Einzelvergaben mit oder ohne Generalplanerin, bei denen die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind oder die Verantwortlichen überfordert waren. Auch wir sind zum TU-Modell gelangt, nachdem wir Projekte retten mussten, bei denen die Kosten das wirtschaftlich Machbare weit überschritten hatten.
Die Stiftung Abendrot hat sich schon früh dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet, einer Praxis, die heutzutage alle in ihr Leitbild aufnehmen. Wie kam es dazu?
Es ist in der Tat eines unserer Kernthemen, wobei wir von einem ganzheitlichen Verständnis der Nachhaltigkeit ausgehen, das neben ökologischen Aspekten explizit auch die soziale Dimension berücksichtigt. Wir befassen uns damit seit der Gründung der Stiftung Abendrot vor mittlerweile vierzig Jahren. Aber: Der Bau und die Nutzung von Gebäuden sind per se nicht klimaneutral zu bewerkstelligen. Wir versuchen, den Impact darum so gering wie möglich zu halten, unter anderem durch den Erhalt bestehender Substanz und gewachsener Strukturen, die Materialwahl, die Wiederverwendung von Bauteilen sowie die aktuell vorangetriebene komplette Dekarbonisierung im Betrieb der Liegenschaften.
Punkto sozialer Nachhaltigkeit stehen für uns sozialverträgliche Mieten und die Vermietbarkeit durch ein bedarfsgerechtes Angebot sowie eine gute Zusammensetzung und das Engagement der Mieterschaft im Zentrum.
Engagement der Mieterschaft? Wie das?
Bei unseren Entwicklungs- und Neuprojekten streben wir kooperative, vielfältige und lebendige Nutzungskonzepte an. Wichtig ist uns auch die gute Vernetzung im Quartier und in der Gemeinde. Den Austausch und die Identifikation mit dem Lebensumfeld fördern wir durch die Gründung von Arealvereinen. Diese kümmern sich um die Bespielung und die Bewirtschaftung von Gemeinschaftsräumen und -angeboten, zum Beispiel Bibliothek oder Sauna, Gäste- und Jokerzimmer oder Gemeinschaftsgarten. Finanziert wird das Ganze durch eine Umlage der Mieterschaft, die in die Vereinskasse fliesst und etwa einen Franken pro Quadratmeter Wohnfläche im Jahr ausmacht. Von uns kommen die nötigen Mittel für eine Anfangsausstattung dazu. Damit bieten wir den Menschen in ihrem gemeinsamen Wohnumfeld einen Mehrwert. Das wird durchweg gut angenommen.
Sie haben zu Beginn des Gesprächs weitere Projekte erwähnt, die Sie mit Halter planen oder realisiert haben. Welche sind das?
Das erste gemeinsame Projekt Binz 111, Wohnen für Mitarbeitende des Universitätsspitals Zürich sowie für Studierende, haben wir vor ein paar Jahren umgesetzt. Kürzlich abschliessen konnten wir ein Verdichtungsprojekt auf dem Bucherareal in Burgdorf. Gegenwärtig arbeiten wir neben der Flumserei noch an zwei weiteren Vorhaben: der Überbauung Wilmisberg in Root bei Luzern, wo Halter 59 Eigentumswohnungen und wir 73 Mietwohnungen erstellen, sowie der gemeinsam mit einer örtlichen Genossenschaft entwickelten Sanierung und Umnutzung eines Bürogebäudes zu Wohn- und Arbeitsraum in Zollikofen bei Bern. Sowohl in Burgdorf wie in Root wird es übrigens die erwähnten Arealvereine geben.
Wie gelingt es der Stiftung Abendrot immer wieder, solche Objekte zu erwerben?
Zumeist geschieht es wie in Flums. Wir hören von etwas und können die Verkäuferschaft mit unseren erfolgreichen Immobilienprojekten als Referenz gewinnen. Dann legen wir transparente Entwicklungspläne vor und rechnen die Sache durch. Besteht eine gewisse Wertekongruenz zwischen der Verkäuferschaft und uns, so verbessern sich unsere Chancen im Rahmen eines Bieterverfahrens markant. Zudem sind wir bereit, uns auf weitgehende Kooperationen mit ganz unterschiedlichen Partnern einzulassen, die ähnliche Werte hochhalten wie wir.
Trifft das auch auf Halter zu?
Ja, es gibt da eine gewisse Grundhaltung, die uns verbindet.


Christian Geser
Architekt und Schätzungsexperte, kennt den Wert von Liegenschaften und weiss, was man aus ihnen machen kann. Er kam 2008 über den Einsitz als externer Experte in der Fachgruppe Immobilien zur Stiftung Abendrot, gehört seit elf Jahren fest zum Team und leitet seit sieben Jahren die Immobilienabteilung. Zu seinem Verantwortungsbereich gehört die Eigentümervertretung des Immobilienportfolios sowie die Evaluation, die Begleitung und die Realisation von Akquisitionen und Entwicklungsprojekten. Er hat an der EPFL in Lausanne Architektur studiert und einen Master in Immobilienmanagement am IFZ der Hochschule Luzern erworben.
→ abendrot.ch