Damit Innere Verdichtung nicht zur Worthülse wird

Schwarzpläne
«Atlas zum Städtebau»

Wenn wir unsere Landschaft erhalten wollen, müssen wir in den vorhandenen Siedlungsräumen weiterbauen. Darüber sind sich Politik und Öffentlichkeit einig. Doch praktisch überall stösst die konkrete Umsetzung auf grossen, oft vielfältigen Widerstand. Welche Strategien sind zu verfolgen, damit die raumplanerische Aufgabe, die wir uns selber gestellt haben, nachhaltig und qualitätsvoll gelingen kann?

Passeig de Gràcia, Barcelona, 1:13 000

Mit deutlicher Mehrheit von knapp 63 Prozent wurde 2013 die Revision des Raumplanungsgesetzes angenommen und im Mai 2014 in Kraft gesetzt. Sein zentrales Anliegen ist die innere Verdichtung im Siedlungsgebiet, um das aktuelle und zukünftige Bevölkerungswachstum in der Schweiz aufzunehmen. Bis 2040 dürfte die Zahl der Einwohner von heute 8,5 auf 10 Millionen anwachsen. Eine weitere Ausdehnung des Siedlungsgebiets soll verhindert werden, Landschaft, Natur und vorhandene Baudenkmäler sind zu schonen. Ist die Stossrichtung im Prinzip allseits anerkannt und unbestritten, machen sich schon nach fünfjähriger Inkraftsetzung und ersten zaghaften Schritten Ernüchterung und Ratlosigkeit breit.

Die Widerstände in der Bevölkerung steigen. Kaum ein Verdichtungsprojekt, das nicht im politischen Verfahren oder mittels Rekursen bekämpft wird – von Privaten, Interessenverbänden oder Amtsstellen. Das Aufeinanderprallen vielfältiger, individueller Interessen oder sich widersprechender Gesetze, Pläne und Ausführungsbestimmungen führt zu Blockaden und verhindert die dringend angesagte Verdichtung. Die Folgen sind weiterhin wucherndes, unkoordiniertes Wachstum des Siedlungsgebiets, gesichts- und seelenlose Agglomerationen und eine eklatante Unterversorgung von modernen, bezahlbaren Wohnungen in Wirtschaftszentren.

Wollen wir das Thema einer qualitätsvollen inneren Verdichtung ernst nehmen und den uns selbst gegebenen politischen Auftrag umsetzen, so braucht es zweckmässige Bilder, Strategien, Werkzeuge und Verfahren, um die sich widersprechenden Interessen auszutarieren, den Transformationsprozess in der gebotenen Geschwindigkeit in Gang zu setzen und unser baukulturelles Erbe in anzustrebender Qualität weiterzuentwickeln.

Wieder Städte planen und Städte bauen

Die Situation, in der wir uns heute befinden, ist nicht neu. Bereits im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert konnte aufgrund der sich beschleunigenden Industrialisierung ein Bevölkerungswachstum beobachtet werden, verbunden mit einem beträchtlichen Zuwanderungsdruck auf die Wirtschaftszentren. Zur Deckung der Nachfrage nach günstigem Wohnraum entstanden beispielsweise in Zürichs Vorortgemeinden neue, dichte Quartiere, in denen sich vor allem gering verdienende Arbeiter ansiedelten. Um die sozialen und hygienischen Missstände aktiv angehen zu können und eine übergeordnete Planung zu ermöglichen, erfolgte 1893 eine erste Eingemeindungswelle. Alleine aus der Gemeinde Aussersihl stiessen dadurch mehr Einwohner zur Stadt, als diese bisher selber zählte. Die Stadt wuchs an ihren Rändern nach grossstädtischen Mustern, insbesondere dem Blockrand. War diese Stadtform damals wenig beliebt und eher für die soziale Unterschicht gedacht, zählen Aussersihl, Wiedikon und das Seefeld heute dank ihrer hohen urbanen Dichte und den attraktiven öffentlichen Räumen zu den begehrtesten Wohnquartieren Zürichs.

Im Zuge des weiterhin andauernden Wachstumsdrucks entschlossen sich die Stadtväter, nach dem Vorbild Berlins einen internationalen Wettbewerb für ein Gross-Zürich zu veranstalten. Er galt dem Bestreben, über Grenzen hinauszudenken sowie Ideen und Strategien zu entwickeln, die sich aus den modernsten Erkenntnissen des Städtebaus ableiteten. Von den interessanten und vielbeachteten Wettbewerbsbeiträgen wurde im pragmatischen, zwinglianischen Zürich nur wenig umgesetzt. In einer krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit, in der es auch an notwendigen Finanzen mangelte, mussten grosse Würfe, wie die Bahnhofstrasse, das Bahnhofsquartier und die Ufergestaltungen zu Zeiten des Stadtingenieurs Arnold Bürkli im 19. Jahrhundert, Wunschdenken bleiben. Dennoch stärkte das Wettbewerbsverfahren das Bewusstsein für Stadtplanung und Städtebau in der gesamten Schweiz. Und mit der Wahl Hermann Herters zum Stadtbaumeister und Konrad Hippenmeiers zum Adjunkten des Stadtingenieurs wurden gleich zwei preisgekrönte Teilnehmer in öffentliche Ämter berufen. Womit die Ideen eines modernen Städtebaus in die Stadtverwaltung einfliessen konnten.

Leider waren das Bewusstsein und die Kultur des Städtebaus nicht von langer Dauer. In der Nachkriegszeit begann das Auto zunehmend die Planungen zu dominieren. Es obsiegte die Überzeugung, dass das wieder einsetzende Wachstum mithilfe der Mobilität zu lösen sei. Verkehrsinfrastrukturen wurden geplant und gebaut – ohne Rücksicht auf die Städte. Agglomerationen entstanden, eine struktur- und gesichtslose Zersiedelung unserer Landschaft und Dörfer setzte ein.

Mit dem neuen Raumplanungsgesetz hat sich die Erkenntnis auch politisch manifestiert, dass wir einer solchen Siedlungsentwicklung Einhalt gebieten müssen. Die Strategie lautet nun «Verdichtung». Der Auftrag geht an alle Kantone, an alle Gemeinden. Die Konsequenz ist, dass wir flächendeckend verdichten werden. Überall ein bisschen, nirgends richtig. In demokratischer Manier muss jeder dem Wachstum Tribut zollen. Niemand soll übermässig belastet werden. Keiner darf unverhältnismässig profitieren.

Als raumplanerischer Effekt wird Agglomeration zementiert. Grossflächig werden sich Ausnützungen erhöhen, in «vertretbarem Mass», aus Rücksicht auf «gewachsene Strukturen». Durchaus erhaltenswerte Gebiete, zum Beispiel im Stil von Gartenstädten, oder attraktive, nachgefragte Stadt- und Einfamilienhausquartiere werden aufgeblasen und verlieren Kontur und Charakter. In weniger gelungenen Siedlungen wird aufgestockt und angebaut, womit sich ihr Lebenszyklus um weitere 50 bis 100 Jahre verlängert.

Cité de Trévise, Paris, 1:13 000
Zentralhof, Zürich, 1:13 000
Piazza Farnese, Rom, 1:13 000

Verdichtung ist wichtig, aber sie muss richtig erfolgen. Am rechten Ort in relevantem Ausmass und keinesfalls dort, wo es qualitätsvolle, schützenswerte und nachfragegerechte Strukturen gibt oder ein übermässiges Verkehrsaufkommen die Folge wäre. Nur eine signifikante Verdichtung bringt Entlastung im angespannten Immobilienmarkt. Nur sie führt zu dichten, urbanen und intensiven Orten, an denen sich pulsierendes Leben entwickeln und vielfältige Angebote entstehen und überleben können. Mit anderen Worten: Wir müssen wieder Städte planen und Städte bauen. In der Schweiz, im weitgehend definierten Siedlungsraum, bedeutet dies einerseits, Orte, die ausgezeichnet angebunden sind, in richtige Städte zu transformieren, und andererseits bestehende Städte an ihren Rändern weiterzubauen und dichte Stadtquartiere zu realisieren. Der vorhandene Siedlungsraum muss differenzierter betrachtet werden. Es sind klare Konturen zu schaffen.

Eingemeindungen wie vor hundert Jahren sind dazu nicht zwingend. Das Beispiel des Wettbewerbs Gross-Zürich könnte aber durchaus wieder aufgenommen werden. Auch für Bern, Basel, Luzern, Genf und Lausanne. Stadtplanung und Städtebau müssen wieder gelehrt und praktiziert, der unglaubliche Fundus nachahmenswerter Vorbilder in der europäischen Stadt genutzt und unsere Baukultur weiterentwickelt werden. Die Menschen suchen die Stadt, die ausgezeichnete Versorgung, das grosse Angebot an Arbeit, Kultur, Gastronomie, Bildung und Unterhaltung. Sie schätzen urbane Strassen und Plätze, Stadtparks und Uferanlagen. Sie benötigen bezahlbare, moderne Wohnungen in Zentrumsnähe. Wollen wir diesen berechtigten Bedürfnissen nachkommen, müssen wir den Raum über politische Grenzen hinaus neu denken, definieren und umwidmen. Wir müssen Stadträume ausscheiden und strategisch, konsequent und über Zeithorizonte von mehreren Dekaden hinaus planen, um sie dann schrittweise und qualitätsvoll bauen zu können.

Das ist in unserer basisdemokratischen Gesellschaft einfacher gesagt als getan. Es braucht Impulse – stellvertretend sei hier die Studie der Architektengruppe Krokodil erwähnt –, Engagement, Zeit und Überzeugungsarbeit. Es braucht die notwendigen Instrumente und Prozesse. Vorhandene Pläne, gewohnte Verfahren und Strukturen sind zu hinterfragen, abzuändern oder ganz abzuschaffen. Das ist kein Spaziergang im Stadtpark. Aber in einem föderalistischen Land besteht durchaus die Chance, dass einzelne Kantone und Kommunen mit gutem Beispiel vorangehen und eine neue Ära in der schweizerischen Raum-, Siedlungsund Stadtplanung einleiten.

Stadtbauregeln statt Ausnützungsziffern

Die Anforderungen an die Raumentwicklung haben sich verändert, das Instrumentarium ist das Gleiche geblieben. Es stammt aus Zeiten des industriellen Wachstums, in denen es aus wohnhygienischen Gründen notwendig wurde, immissionsstarke Nutzungen von ruhigeren zu trennen, und aus einer Ära der zunehmenden Verfügbarkeit individueller Mobilität, die das Bedürfnis nach Wohnen im Grünen, ausserhalb der lauten, stinkenden und hyperaktiven Stadt, weckte. Zonierungen, wie sie heute für das Gros des Siedlungsgebietes bestehen, tragen noch immer den Gedanken der Nutzungstrennung in sich. Sie trennen, wo es heute keiner Trennung mehr bedarf, wo eine Durchmischung im Interesse der Belebung und Optimierung der Mobilität sogar erwünscht wäre. Für den Werkplatz Schweiz typische hochtechnologische Industrien, wie beispielsweise die Biotechnologie, die Mikroelektronik oder die Software-Entwicklung, finden nicht mehr in lauten, raumgreifenden Industriehallen, sondern zunehmend im Bürohaus, am Schreibtisch statt.

Heute definieren Bauordnungen die Art und das Mass der Nutzung, Abstände, Gebäudehöhen, Dachaufbauten oder Ähnliches. Sie sind schematisch, monoton und austauschbar. Sie tragen überhaupt keine Idee, keine Vorstellung der Raumbildung, der Gestaltung, der Bespielung in sich. Sie differenzieren in keiner Weise öffentlichen von privatem Raum und seiner Nutzung. Was für eine Industrie- oder Gewerbezone als Regelwerk richtig sein mag, kann für ein Dorf-, Zentrums- oder Stadtquartier kaum das adäquate Mittel sein.

Das Resultat der identitätslosen Aneinanderreihung von Häusern, Nutzungen und Vororten können wir in unserem Mittelland ablesen. Da kann der Mangel an siedlungs- und raumplanerischem Gestaltungswillen auch durch noch so gute Architektur nicht aufgefangen werden. Aktuelle Bemühungen nach qualitätsvoller Verdichtung, vorwiegend auf ehemaligen Industrie-Arealen, sind erste verheissungsvolle Schritte. Weil aber auch sie im Regime der Zonenordnungen nur parzellenscharf umgesetzt werden, den übergreifenden räumlichen Kontext nicht einbeziehen und allzu oft in gut gemeinter Manier der Anpassung an den Rändern ausfransen, bleiben sie Stückwerk und verlieren sich wie Eisschollen im weiten, konturlosen Agglomerationsmeer.

Wir müssen das Regime der universellen und technokratischen Bau- und Zonenordnungen überwinden und spezifische Vorstellungen für die Gestaltung eines Ortes entwickeln. Im Wesentlichen geht es um die Definition der öffentlichen Räume, Strassen, Plätze, Parks und Uferanlagen. Sie liegen im allgemeinen Interesse, haben öffentliche Funktionen zu erfüllen und prägen den Charakter und das Leben eines Ortes. (Pflicht-)Baulinien, Gebäude- und Traufhöhen können wieder an Gewicht gewinnen, ebenso die Ausgestaltung von Fassaden und Erdgeschossen. Wird das Regulativ zum öffentlichen Raum hin restriktiver, sollten die Freiheitsgrade im Innern der Parzelle umso grösser sein. Es braucht keine Festlegungen von Nutzungen und Dichten mehr. Diese sollen im Ermessen des Bauherrn liegen. Für die nötigen feuerpolizeilichen oder wohnhygienischen Anforderungen bilden die entsprechenden Gesetze und Verordnungen eine grundsätzlich ausreichende Basis. Wenngleich auch hier gewisse Paradigmen, zum Beispiel in Fragen des Lärmschutzes und der Besonnung, zu hinterfragen sind. Übermässige Restriktionen verhindern unter Umständen, dass günstige, städtische Wohnungen an lärmmässig weniger privilegierten, aber dennoch nachgefragten Lagen entstehen. Und der ominöse Zweistundenschatten steht städtebaulich durchaus sinnvollen und bezüglich Verdichtung höchst effizienten Hochhausensembles oder -quartieren entgegen.

Der Wechsel von generischen, abstrakten Bau- und Zonenordnungen hin zu konkreten, übergreifenden, den spezifischen Orten entsprechenden, qualitätssichernden Planungsvorgaben setzt Gestaltungswille, Autorenschaft und politische Durchsetzungskraft voraus. Sich für eine Idee, ein Konzept, eine Strategie zu entscheiden und persönlich dafür einzustehen, ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass eine qualitätsvolle und relevante innere Verdichtung überhaupt erfolgen kann. Es handelt sich dabei um einen hoheitlichen Akt der Gesetzgebung und Planfestsetzung. Dazu braucht es Mut und Leadership seitens der Exekutivbehörden sowie weitsichtige Parlamente.

Heute stehlen sich leider viele politische Behörden aus dieser Verantwortung. Sie überlassen Verdichtungsvorhaben weitgehend der Initiative privater oder institutioneller Bauherren, um dann reaktiv im Rahmen von sogenannt kooperativen Verfahren Regeln und Bedingungen zu diktieren und bisweilen Aufgaben und Anforderungen zu überbinden, die die Möglichkeiten von Bauträgern sprengen. Zudem verweisen sie diese auf den kaum kalkulierbaren, legislativen Verfahrensweg von Gestaltungsplänen sowie Revisionen von Richtplänen, Bau- und Zonenordnungen. Konnten derartige politische Risiken in der Vergangenheit noch durch Wertsteigerungen, die sich primär als Folge ständig sinkender Kapitalmarktzinsen ergeben hatten, aufgefangen werden, so ist davon auszugehen, dass sich die Privatwirtschaft in einem rauer werdenden Marktumfeld diesen Herausforderungen kaum mehr stellen und nach Regelbauweise realisieren wird. Und sollte es dennoch so weitergehen, werden Stadtplanung und -entwicklung alleine dem Zufall privater Initiativen, aber keinen übergeordneten Ideen und gesamtheitlichen Plänen folgen.

Hackesche Höfe, Berlin, 1:13 000

Verfahren für mehr Qualität und Rechtssicherheit

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind wesentliche Elemente unseres Staatsverständnisses. Das spiegelt sich auch in den heute etablierten Planungs- und Bewilligungsverfahren wider. Wir kennen ausgeprägte Rechtsmittel für Private, Interessenverbände und Behörden, weitgehend auf direktdemokratische Entscheidungsfindung basierende Planfestsetzungen, eine höchst produktive Gesetzes- und Normenmaschinerie und einen rasant anwachsenden Ämter- und Beamtenstaat, der – in zweifellos guter Absicht – alle Interessen zu berücksichtigen und jedes potenzielle Risiko auszuschalten versucht. Der Preis, den wir als Marktteilnehmer und Volkswirtschaft bezahlen, ist exorbitant. Wir planen viel zu lange, bauen viel zu teuer und beschäftigen ein Heer von kostspieligen, aber kaum Wertschöpfung generierenden Beratern und Juristen. Dementsprechend hat sich die Produktivität im Baugewerbe, ganz im Gegensatz zu allen anderen Wirtschaftssektoren einschliesslich der Landwirtschaft, in den letzten zwei Jahrzehnten nicht gesteigert; in der Immobilienindustrie war sie sogar rückläufig.

Im Kontext von Verdichtungsbemühungen, wo, in der Natur der Sache liegend, sehr vielfältige und vielschichtige Interessen aufeinanderprallen, ist bereits eine weitere massive Zunahme von Rekursen oder anderen verzögernden oder verhindernden Aktivitäten spürbar. Die Angst vor Veränderung, der Verlust der gewohnten Umgebung, ökologische Anliegen und der Schutz von Landschaft und Baudenkmälern stehen Verdichtungsvorhaben gegenüber. Die Vielfalt an Rechtsmitteln, deren tiefe Hürden sowie die Dichte von in Gesetzen verankerten Interessen machen es möglich, dass jedes Bauvorhaben unter irgendeinem Titel verzögert oder sogar verunmöglicht werden kann. Ob vorgebrachte Einwände auch den tatsächlichen Interessen entsprechen, ist dabei nicht überprüfbar und deshalb nebensächlich.

Wenn wir innere Verdichtung ernsthaft und relevant vorantreiben wollen, brauchen wir Verfahren, in denen die unterschiedlichen Interessen, private und öffentliche, innert nützlicher Frist und mit überschaubaren Kosten abgewogen und rechtsverbindlich austariert werden. Die zunehmende Komplexität und die Vielfalt der Ansprüche machen es nötig, dass wir stufenweise vorgehen und uns neuartiger Mittel bedienen, wie sie die Digitalisierung bereits heute ermöglicht. Als wichtiges und in der Schweiz breit etabliertes qualitätssicherndes Verfahren gilt der Wettbewerb. Er sorgt für Kreativität und Ideenvielfalt und kann im Rahmen der allenfalls stufenweisen Jurierung zu qualitätsvollen, sehr vorteilhaften Resultaten führen. Wir alle kennen unzählige grossartige Beispiele von sehr erfolgreichen, städtebaulichen oder architektonischen Wettbewerbsverfahren. Selbst der zuvor erwähnte Wettbewerb Gross-Zürich darf dazu gezählt werden, auch wenn er nur sehr beschränkt umgesetzt wurde. In einem strukturierten Wettkampf der Ideen können die riesigen fachlichen und schöpferischen Kompetenzen in der Schweiz, aber auch international zunutze gemacht werden; um unsere zu bauende Umwelt, öffentliche und private Bauprojekte qualitätsvoll und nachhaltig zu gestalten.

Werden bei konkreten Bauvorhaben nicht nur qualitative Massstäbe, sondern auch ökonomische angelegt, so steigen die Chancen, dass die guten Lösungen auch in die Realität umgesetzt werden. Gesamtleistungs- oder Investorenwettbewerbe sind in diesen Fällen reinen Planungswettbewerben vorzuziehen, weil Verbindlichkeit geschaffen wird, keine unrealisierbaren Fantasien aufkommen und am Ende greifbare Entscheidungsgrundlagen vorliegen. Wenn die Wettbewerbsparteien auch auf die ökonomischen Eckdaten verpflichtet werden, kann ein Scheitern aufgrund wirtschaftlicher Faktoren weitgehend verhindert werden.

Wettbewerbsverfahren haben den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie ganz unterschiedliche und auch widersprechende Anliegen reflektieren. Gerade Verdichtungsprojekten stehen oft denkmalpflegerische oder ökologische Interessen entgegen. Im Rahmen des Wettbewerbsprogramms können widersprechende Anliegen adressiert und im Verlaufe der stufenweisen Jurierung diskutiert, abgewogen und austariert werden. Entscheidend für den Erfolg des Verfahrens und einer nachfolgenden Umsetzung ist jedoch, dass die unterschiedlichen, zukünftig einspracheberechtigten Interessenvertreter nicht nur einbezogen werden, sondern sich auch aktiv und verbindlich in die Interessenabwägung im Rahmen des Verfahrens einbringen. Das Wettbewerbsverfahren, insbesondere ein mehrstufiges, ist ideal geeignet, einen breiten, fachlich vertieften Diskurs über mögliche Lösungen zu führen. Sollte sich keine Lösung abzeichnen, die Konflikte elegant löst, so kann zumindest eine sorgfältige Diskussion, notfalls auch Vertiefung spezifischer Fragen möglich sein.

Nur wenn sich alle Parteien schon im Vorfeld darauf verpflichten, eine gemeinsam gewählte Lösung, das heisst einen eindeutigen Juryentscheid, mitzutragen und nicht in einem nachfolgenden Verfahren mit rechtlichen, administrativen oder politischen Mitteln zu torpedieren, ist eine ernsthafte und zielführende Abwägung aller Interessen möglich und erfolgversprechend. Leider werden viel zu oft aufwendige, zeit- und kostenintensive Verfahren mit vielversprechenden Lösungen zur Makulatur, weil sich Interessenverbände oder Behördenvertreter, sogar wenn sie in die Verfahren einbezogen sind, einen Widerspruch oder Rekurs in nachfolgenden Planfestsetzungs- oder Bewilligungsverfahren vorbehalten und diesen dann auch umsetzen.

Architektur und Städtebau sind ortsgebundene Interventionen mit lokaler, vielleicht regionaler, sehr selten aber darüber hinausgreifender Wirkung. Deshalb ist es angezeigt, dass dem Primat des Föderalismus Rechnung und Sorge getragen wird. Die ansässige Bevölkerung gestaltet den Raum, in dem sie leben will. Sie pflegt ihre Kultur, kennt die Örtlichkeiten und ihr kulturelles Erbe und setzt ihre Vorstellungen um. Entsprechend muss ihre Hoheit gewahrt, ihre Entscheidungsbefugnis respektiert und müssen Fragen von Einordnung und Angemessenheit in erster Linie den Kommunen, gegebenenfalls den Kantonen überlassen werden. Die Tendenz, immer mehr Kompetenzen auf nächsthöhere Ebenen zu ziehen und sich Entscheidungsbefugnisse anzumassen, muss deshalb gebremst oder sogar gekehrt werden. Das gilt für die Gesetzgebung, Inventarisierung und Rechtsprechung. Ein Entscheid wie derjenige des Bundesgerichts im Fall Ringling, wo einem Wohnbauprojekt in der Stadt Zürich die Einordnung trotz qualitätssichernden Wettbewerbsverfahrens mit zweifellos kompetenter und breit abgestützter Jury abgesprochen wurde, dürfte nicht geschehen. Gleiches gilt für Bundesinventare, wie beispielsweise das ISOS, in dem 20 Prozent aller Ortsbilder der Schweiz inventarisiert werden. Auch wenn dieses nicht in allen Fällen zwingende Schutzwirkung entfaltet, wird ein Bundesinventar trotzdem gerne als Indiz dafür herangezogen, dass nationale Bedeutung vorliegen dürfte.

Zunehmend beliebt sind partizipative Verfahren, in denen nach Möglichkeit viele Stakeholder, insbesondere die Anwohner und interessierten Bürger, in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Auf diese Weise können gute Ideen und spezifische Anliegen einfliessen, die ansonsten übersehen würden. Der wesentliche Vorteil eines solchen Vorgehens liegt aber vor allem darin, dass Verständnis und Akzeptanz geschaffen werden, die sich im Rahmen der nachfolgenden politischen und rechtlichen Prozesse positiv auswirken und Opposition reduzieren können. Partizipative Verfahren sind jedoch sehr kontrolliert einzusetzen und bedürfen einer sehr klaren und geschickten Führung, weil sie gerne über die erwünschten Ziele hinausschiessen, das Gegenteil bewirken oder unter Umständen angestrebte Qualitäten verhindern. Eine Bürgerbeteiligung erfordert persönliches Engagement. Der Prozess lädt ein, sich einzubringen und Vorstellungen und Wünsche zu formulieren. Sind diese wegen unterschiedlicher Sachzwänge nicht erfüllbar, werden Erwartungen enttäuscht, was zu Frustrationen und Widerstand führt. Die Vielzahl der Vorstellungen, verbunden mit dem nachvollziehbaren politischen Reflex, es möglichst allen recht zu machen, führen tendenziell zur Verwässerung von potenzialreichen und identitätsstiftenden Konzepten. Wünsche aus der Bevölkerung entstehen oft aus unmittelbaren Bedürfnissen und orientieren sich stark an aktuellen Gegebenheiten und Zeitströmungen. Weil städtebauliche und architektonische Planungen den Ort und das Leben über mehrere Dekaden prägen, sollten sie langfristig und strategisch erfolgen. Dies kann zu schwer überbrückbaren Konflikten führen.

Entsprechend sorgfältig ist abzuwägen, ob ein Mitwirkungsverfahren durchgeführt werden soll und falls ja, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Fragestellung. Da, wie ausgeführt, strukturierte Wettbewerbsverfahren erfahrungsgemäss zu den besten Lösungen führen, können vor Aufgabendefinition in partizipativen Prozessen Inputs erarbeitet werden, die dann, soweit sinnvoll, ins Wettbewerbsprogramm einfliessen. Im Nachgang zu qualifizierten Verfahren kann es angebracht sein, die Bevölkerung für spezifische Fragestellungen, zum Beispiel bei der Ausstattung und Nutzung öffentlicher Räume, einzubeziehen, ohne jedoch Geschmacksdebatten zu provozieren und die Autorenschaft der Entwerfer zu untergraben.

Wienfluss-Promenaden, Wien, 1:13 000
Herengracht, Amsterdam, 1:13 000

Mit digitaler Unterstützung zu effizienteren Bewilligungsverfahren

Die Komplexität von Baubewilligungsverfahren hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgrund der steigenden Anforderungen an Bauwerke und der kontinuierlich anwachsenden Zahl an Normen, Gesetzen und Verordnungen zugenommen. Ebenso ist die Vielzahl legitimierter Interessen gestiegen und mit ihr die Zahl der mit der Prüfung betrauten Ämter sowie einspracheberechtigten Parteien. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird, nicht zuletzt aus dem Erfordernis der Verdichtung heraus, wo die Mehrheit der Bauvorhaben in gebautem Kontext zu bewilligen ist. Die Kosten für diese Verfahren sind mittlerweile beträchtlich, sowohl aufseiten der Privaten und der Wirtschaft als auch bei Kantonen und Gemeinden. Der volkswirtschaftliche Preis ist nicht mehr zu vernachlässigen, insbesondere auch im Hinblick auf die zunehmende Dauer.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob Bewilligungsverfahren im Zeitalter der Digitalisierung nicht effizienter gestaltet, das heisst Kosten und Dauer gesenkt werden können. Insbesondere für die Phase, in der aufgrund von Rekursmöglichkeiten seitens Dritter die Rechtssicherheit für die Bewilligungsfähigkeit noch nicht gegeben ist. Bereits vorhandene und verfügbare digitale Werkzeuge eröffnen heute ein enormes Potenzial an Effizienzgewinn. Noch grösser ist dieses allerdings, wenn der Bewilligungsprozess in seiner Gesamtheit hinterfragt und neu strukturiert wird.

Eine sinn- und zweckvolle Strukturierung würde den Bewilligungsprozess in zwei Phasen gliedern. In der ersten Phase geht es um die Aussenwirkung des Bauprojekts und die Frage, ob rechtliche Interessen Dritter verletzt sind. Themen wie Gebäudehöhen, Volumen, Nutzungen, Erschliessungen, Emissionen, allenfalls Materialisierung stehen im Vordergrund. Im Weiteren wird geprüft, ob bereits vorhandene, schutzberechtigte Baudenkmäler oder Natur und Landschaft über Gebühr tangiert werden. Derartige Aspekte können Dritte in rechtlich relevantem Sinne berühren und zur Einsprache befähigen. Ein erfolgreicher Rekurs kann zur Aufhebung einer Bewilligung führen und eine grundsätzliche Überarbeitung eines Projektes nach sich ziehen. Die zweite Phase beschäftigt sich mit der Innenwirkung, mit Themen wie Sicherheit, Wohn- und Bauhygiene und Ökologie. Diese sind weitgehend normiert und werden im Rahmen der amtlichen Prüfung bewilligt oder beanstandet. Die Zahl legitimierter Einsprecher ist in diesen Fällen sehr viel kleiner, die grundsätzlichen Auswirkungen auf ein Bauprojekt bedeutend geringer.

Wird nun in einem strukturierten Vorgehen zuerst die Aussenwirkung geprüft und bewilligt, kann sehr viel rascher, mit weniger Aufwand eine erste wichtige Hürde genommen und Rechtssicherheit in den wesentlichen, für die Öffentlichkeit und Nachbarn relevanten Fragen erzielt werden. Projekte müssten dann nicht, wie bei heutigen Baueingaben erforderlich, derart fundiert und detailliert ausgearbeitet werden. Das Risiko von fehlerhafter oder sogar nutzloser Planung ist massiv reduziert, ebenso die Dauer bis zu einem rechtskräftigen Bauentscheid. In der nachfolgenden Phase geschieht dann die detaillierte Ausarbeitung des Projektes, aufgrund derer die Prüfung bezüglich Innenwirkung, zum Beispiel für die Erteilung der Baufreigabe, vorgenommen wird.

In beiden Phasen kann die Digitalisierung sehr wertvolle Unterstützung leisten und die Effizienz und Qualität der Prüfung massiv verbessern. Geht es um die Aussenwirkung, stehen heute 3D-Tools zur Verfügung, die ein Projekt in der digitalisierten Welt mittels Virtual Reality oder sogar im realen Umfeld dank Augmented Reality erleben lassen – aus beliebigen Perspektiven, zu jeder Tages- und Jahreszeit, mit entsprechendem Sonnenstand. Auf dieser Basis können sehr qualifizierte Diskussionen und sorgfältige Abwägungen betroffener Interessen erfolgen. Themen wie visuelle Beeinträchtigung, Beschattung, Aussicht etc. werden rasch und ohne Kostenfolge nachvollziehbar. Sind diese Tools allgemein verfügbar, zum Beispiel über Internet, ist es sogar denkbar, zukünftig auf Bauaussteckungen zu verzichten.

Das vorhandene und in der zweiten Phase detaillierter ausgearbeitete 3D-Modell könnte bei der Innenprüfung genutzt werden, um algorithmische Normenkontrollen vorzunehmen. Dazu bräuchte es keine zeitraubende Handarbeit mehr. Ein Computer könnte dies objektiv, schnell, kostengünstig und umfassend tun. Er wäre in der Lage, alle Aspekte, Normen und Regulierungen einander gegenüberzustellen und Konflikte aufzulisten. Die technologischen Voraussetzungen sind heute schon gegeben. Dazu braucht es noch nicht einmal künstliche Intelligenz, wenngleich davon auszugehen ist, dass diese den Erkenntnisgewinn nochmals erheblich steigern wird.

Kramgasse, Bern, 1:13 000

Innere Verdichtung als historische Chance

Innere Verdichtung darf nicht bloss als raum- oder siedlungsplanerische Strategie oder Massnahme zur Schonung der Natur und Landschaft verstanden werden. Innere Verdichtung ist eine riesige gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Chance, unseren Siedlungs- und Landschaftsraum neu zu verstehen, unsere Baukultur weiterzuentwickeln, neue lebenswerte Orte und Städte zu schaffen und so manche planerische Fehlentwicklung zu korrigieren. In relevantem Mass an den richtigen Orten schafft die Verdichtung wie selbstverständlich die Möglichkeit, den zunehmend nachgefragten, aber viel zu knappen Wohnraum in städtischen Zentren in durchmischter Form und durchaus ohne direkte oder indirekte Zuschüsse seitens der öffentlichen Hand entstehen zu lassen.

Es wäre die einmalige Chance, den Städtebau wieder zu kultivieren, einen qualifizierten, differenzierten und gesamtheitlichen Diskurs über Bestand und Zukunft, Aufgabe und Ausgestaltung der grossen, mittleren und kleinen Städte zu führen. Ebenso gilt es, die Bedeutung, Funktionsweise und Ausprägung öffentlicher Räume, Strassen, Plätze und Uferanlagen zu klären. Das Know-how ist vorhanden, Anschauungsbeispiele in der schweizerischen sowie europäischen Stadt ebenfalls. Auch Verfahren in Anlehnung an den Wettbewerb Gross-Zürich sollten in Betracht gezogen werden. Der Föderalismus kann helfen, weil er Identifikation schafft und unterschiedliche Konzepte und Strategien ermöglicht. Es gibt nicht die eine richtige Lösung für die Vielfalt der Orte mit ihren unterschiedlichen Historien. Gefragt ist Leadership, insbesondere bei den politischen Behörden. Siedlungs- und Stadtplanung sind langfristige, hoheitliche Aufgaben, die Moden, kurzfristige Strömungen und Befindlichkeiten überdauern müssen. Sie sollten über politische Grenzen hinausgedacht und umgesetzt werden. Sie verlangen einen demokratischen Diskurs, können aber nur Erfolg haben, wenn sich Persönlichkeiten, Gemeinde-, Stadt- und Regierungsräte für derartige Ideen, Prozesse und Konzepte engagieren und exponieren, auch mit dem Risiko, politisch zu scheitern.

Plaza Mayor, Madrid, 1:13 000

Standardwerk des Städtebaus

Die auf den Seiten 102 bis 123 abgebildeten Schwarzpläne wurden dem zweibändigen, im Hirmer Verlag, München, erschienenen «Atlas zum Städtebau» entnommen. Das von Vittorio Magnago Lampugnani, Harald R. Stühlinger und Markus Tubbesing 2018 herausgegebene Werk stellt eine Auswahl von 68 Strassen, Plätzen, Höfen und Uferpromenaden europäischer Städte vor. Die äusserst sorgfältig gestaltete Sammlung ermöglicht einen einmaligen Blick auf die hohe Kultur des europäischen Städtebaus und regt zum vertieften Studium sowie zur Adaption und Weiterentwicklung im aktuellen und zukünftigen Kontext an.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2019 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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