Chance Wettbewerb

Die Planungs- und Baubranche entwickeln sich auf ein integriertes Wertschöpfungsmodell und ein durchgängiges Informations- und Innovationssystem hin. Der Wettbewerb soll diese Transformation nicht bloss überleben – er soll dabei eine bedeutende Rolle spielen und seinen Kern stärken. Ein Beitrag zu einer Debatte, die wir führen sollten.

Wettbewerbsbeitrag für das neue Akropolismuseum. (Zeichnung: Bernard Tschumi Architects, 2014)

Die Planungs-, Bau- und Immobilienbranche erbringen je nach Berechnungsart zwischen 15 und 18 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Schweiz und gehören damit zu den bedeutendsten Wirtschaftsbereichen des Landes. Umso schwerer wiegt, dass Bau und Immobilien das Schlusslicht hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitsproduktivität im Branchenvergleich bilden (siehe Grafik «Entwicklung der Arbeitsproduktivität nach Branchen, 1995–2016.»). Dies lässt sich im Alltag nachvollziehen, sieht doch eine Baustelle heute verblüffend ähnlich aus wie vor hundert Jahren.

Der Krebsgang in der Arbeitsproduktivität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gegenwärtig vieles im Fluss ist, dass sich der Reformstau in einer Welle von tiefgreifenden Veränderungen entladen wird. So sieht sich die in Standardverträgen und Leistungsordnungen stipulierte, linear verlaufende Wertschöpfungskette nach dem Wasserfallprinzip in Wirklichkeit längst einer Vielzahl von Organisationsmodellen gegenüber. Als Beispiele gelten die horizontale (zwischen Planern unterschiedlicher Fachbereiche) und vertikale Integration (Zusammenschlüsse entlang der Wertschöpfungskette, z. B. Totalunternehmermodelle), die Verschränkung von Planung und Ausführung (wie etwa im Modulbau), die Renaissance der Vorfertigung, die steigende Bedeutung von technischen Unternehmerlösungen oder die mittels durchgängiger Datenmodelle ermöglichte Ausrichtung von Planung und Management auf den gesamten Lebenszyklus von Infrastruktur im Zuge der Digitalisierung. Während sich die Verbände damit schwertun, aus dem goldenen Käfig der Besitzstandswahrung auszubrechen und die Entwicklung im Sinne der gesamten Branche mitzuprägen, kommen fast täglich herausfordernde Ansätze und Produkte aus der PropTech-Szene oder von digitalen Vorläufern in der Branche auf den Markt.

Entwicklung der Arbeitsproduktivität nach Branchen, 1995–2016. (Grafik: Bundesamt für Statistik, 2017)

Zukunft braucht Herkunft

Architekturwettbewerbe haben eine Tradition von mindestens 2500 Jahren. So weiss man von einem Wettbewerb für Gebäude auf der Athener Akropolis im Jahr 448 v. Chr. Weiter gab es in der Renaissance mehrere gut dokumentierte Wettbewerbe, etwa zu Sakralbauten in Italien. Die zeitgenössische Form von Planungswettbewerben ist aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Seitdem sind Wettbewerbe Teil der (Bau-)Kultur von Ländern wie Österreich, Finnland oder Frankreich. Vor allem aber die Schweiz hat hier eine Sonderstellung. Denn sie ist das einzige Land, wo Bauherren und Planende den Wettbewerb mit einer grossen Selbstverständlichkeit, gewissermassen einer Nonchalance, zu ihrer Planungskultur zählen und ihn als Instrument ungezwungen und vielfältig einsetzen. In der Folge darf die Schweiz von sich sagen, dass sie im internationalen Vergleich eine extrem hohe Wettbewerbsdichte verzeichnet und dieser eine hohe wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung zukommt.

An der Wiege des Schweizer Wettbewerbs standen spezifische soziale, politische und wirtschaftliche Verflechtungen. Ende des 19. Jahrhunderts begann der junge Bundesstaat, auf der Grundlage moderner architektonischer Wettbewerbsverfahren eine bedeutende Anzahl funktionaler und zugleich repräsentativer Gebäude zu bauen – etwa die heute vielerorts zentrumsprägenden Postbauten. In diesem Zusammenhang sind zwei Ereignisse hervorzuheben: zum einen die Verabschiedung der Bundesverfassung von 1874, die den Bund ermächtigte, ein eigenes Bauamt einzurichten; zum anderen die Generalversammlung des noch jungen Schweizerischen Vereins der Ingenieure und Architekten (SIA) in Zürich 1877. An dieser Sitzung verabschiedete der Verein seine Grundsätze für die Regeln der Architekturwettbewerbe.

Diese beiden Ereignisse bedeuteten, dass es dem Schweizer Staat – der selbst noch eine Baustelle in Bezug auf seine Institutionen und sein Selbstverständnis war – eingeräumt wurde, seine öffentlichen Gebäude zu bauen. Gleichzeitig definierten die Schweizer Ingenieure und Architekten mit der Schaffung der Wettbewerbsordnung einen Aktionsplan zur Verteilung des entstehenden Kuchens für Planungs- und Bauleistungen. Die Akquise war zu jener Zeit das treibende Moment der Branchenvereine in der Schweiz (und sie ist es bis heute). Mit der zukunftsorientierten Schaffung des Schweizer Wettbewerbswesens etablierten die Planer schrittweise einen nationalen Markt für Planungs- und Bauleistungen, den es zuvor nicht gab.

Die Entstehung des Wettbewerbs ist noch immer Teil der Schweizer Planungs-DNA und damit zentral für das Selbstverständnis der Branche. Es stellen sich die Fragen, was der Wettbewerb leistet, was ihn im Kern ausmacht, und wie wir ihn heute mit Blick auf die Zukunft weiterentwickeln können?

Manufaktur für Legitimation

Die erste Leistung des Wettbewerbs betrifft seine Fähigkeit, aus seinem Prozess heraus Legitimation zu schaffen. Dieser Aspekt wird in der Siedlungsentwicklung nach innen mit ihren vielfältig betroffenen Anspruchsgruppen immer wichtiger. In den vergangenen rund fünfzehn Jahren wurden Themen wie Wohnen, Stadt- oder Raumentwicklung sehr stark politisiert und fanden ihren Platz im öffentlichen Interesse. Dies wird sich in den kommenden Jahren, in denen wir die Siedlungsentwicklung nach innen von einem Lippenbekenntnis in gelebte Praxis umsetzen werden, weiter verstärken. Den Wettbewerb müssen wir als Quelle von Akzeptanz und Legitimation festigen. Aber wie geht das? Zwei Klassiker der System- und Gesellschaftswissenschaften verdeutlichen den Zusammenhang: Jürgen Habermas legte 1981 mit seiner «Theorie des kommunikativen Handelns» einen Grundstein für das Verständnis, wie Kommunikation als Quelle von Vernunft wirken kann. Für die Entscheidungsfindung in der Planung heisst dies: Nicht nur was eine Entscheidung beinhaltet, ist von Bedeutung für ihre Legitimierung und damit ihre Akzeptanz, sondern auch wie sie zustande kommt und wer an der Erarbeitung von Lösungen beteiligt wird. Die Systemtheoretiker Roger C. Conant und W. Ross Ashby formulierten bereits 1970: «Every good regulator of a system must be a model of that system.» Effektive Regulation ist selber ein Modell dessen, was es zu steuern gilt. Der Wettbewerb ist ein Modell der Wirklichkeit. Die Fachjuroren bilden die relevantesten Fachrichtungen ab. Die Sachjuroren stehen für ein Abbild der spielentscheidenden Ressorts. Die Diskurse, Dynamiken und Zielkonflikte, die in der Wirklichkeit bestehen, bilden sich also in der Jury ab und erlauben es dem Verfahren, als Modell der Wirklichkeit kollektiv Entscheide zu treffen.

Dies heisst aber für die Zukunft, dass nicht nur in der Sach-, sondern auch in der Fachjury die relevanten Kompetenzen vorhanden sein müssen. Gesellschaftliche, ökonomische und technologische Kompetenzen müssen im System gestärkt werden.

Übersetzungen

Was die Öffentlichkeit über Fragen der baulichen Entwicklung unserer Städte weiss, kennt sie zumeist aus Wettbewerbsverfahren. Der Wettbewerb bringt zur Sprache, übersetzt zwischen dem Baulichen und dem Gesellschaftlichen. Die zweite Leistung des Wettbewerbs ist daher dessen Fähigkeit, Übersetzungen zwischen scharf getrennten Bereichen der Wirklichkeit vorzunehmen: Einerseits können Wettbewerbe als direkte Brücken zwischen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft wie Politik, Ästhetik, Recht, Wirtschaft und Wissenschaft betrachtet werden. Dieser interdisziplinäre Aspekt ermöglicht es einem Wettbewerb, verschiedene, für die Planung grundlegende Bereiche in einem Verfahren miteinander zu verbinden und zwischen ihnen zu vermitteln. Andererseits vermitteln Wettbewerbe zwischen dem Diskursiven und dem Gebauten. Sie übersetzen die Fragen, was Kindheit und Lernen heisst, wie die Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler heute und zukünftig zu gestalten ist, in die «Bauaufgabe Schulhaus». Gleiches gilt für das Thema Gesundheit und den Spitalbau oder die Frage nach Arbeit oder Wohnen und entsprechenden Aufgaben im Wohnungs- oder Bürobau: Welches «Leben» soll stattfinden, und mit welcher baulichen Form wird dieses Leben unterstützt und gefördert?

Wettbewerbe sind daher in der Lage, politische Fragen in apolitische Gestaltungsprobleme zu verwandeln (und umgekehrt). Der Wettbewerb verwandelt gesellschaftliche Ideale in gebaute Stadtlandschaft. Somit produziert der Wettbewerb Identitätsbezüge für die Gesellschaft.

Varianz und Vergabe

Wettbewerbe sind historisch gesehen «Vergabeverfahren avant la lettre». Sie wurden lange als Vergabeverfahren praktiziert, bevor das Vergabewesen in seiner heutigen Gestalt überhaupt existierte. Mit einem Wettbewerb sucht man mit den Mitteln organisierter Konkurrenz das beste Projekt, den besten Partner oder beides. Mit dem Inkrafttreten des WTO Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen im Jahr 1994 erhielt der Wettbewerb in der Schweiz denn auch als Vergabeverfahren formal ein grosses Gewicht.

Ein Wettbewerb wird indes nicht eingesetzt, um klar definierbare Offerten zu bewerten (Materialisierungen, Lieferanten o. Ä.). Vielmehr ist der Wettbewerb dort notwendig, wo es trotz klarer Vorgaben (ein Raumprogramm, städtebauliche Vorgaben) eines Entwurfs bedarf, um verschiedene Möglichkeiten zu ergründen. Die Problemstellung wird daher mit Mitteln des Entwurfs erforscht. Auf der Suche nach der besten entsteht eine Varianz von konkurrierenden Lösungen. Hierbei tritt oft, ja systematisch, Überraschendes zutage. Dies ist im Wettbewerb Teil des Verfahrens und markiert keinen Betriebsunfall. Zwar wird gerade von öffentlichen Bauherren behauptet, «die Beurteilungskriterien werden im Wettbewerbsprogramm festgehalten und sind allen Teilnehmenden bekannt» (siehe etwa die Ausstellung «Fokus Architektur-Wettbewerbe», Kanton Zürich). Dies stimmt aber nur beschränkt. Denn es macht den Wettbewerb gerade aus, dass die Kriterien im Verfahrensverlauf geschärft, verändert oder präzisiert werden und damit die Vorgaben des WTO-Übereinkommens mit guten Gründen herausfordern.

Jurieren als Entwerfen

Jurieren ist dem Entwerfen verwandt. Es ist ein kreativer Prozess, in welchem Entscheidungskriterien in einer Ko-Evolution mit dem Programm und den vorgeschlagenen Projekten entstehen. Die Entscheidungskriterien sind also nicht unabhängig von den Eingaben. Kurz gesagt bedeutet dies, dass der Wettbewerb die Unsicherheit und die Verpflichtung zum Lernen ins Zentrum stellt. Hiervon unterscheiden sich die WTO-basierten Vergabeverfahren ganz wesentlich. Bei diesen liegt eine abschliessende, anfecht- beziehungsweise einforderbare Bestellung vor. Denn die Zuschlagskriterien sind bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung fest definiert. Hierzulande setzen sich nur sehr wenige mit dem Spannungsfeld zwischen dem Wettbewerb und einer technischen Ausschreibung auseinander. Dies ist töricht – immerhin stösst mit dem Planungswettbewerb eine wesentliche kulturelle Institution auf international vereinbarte Regelwerke.

Was also ist der Kern des Jurierens? Der Beurteilungsprozess der Jury ist im Kern eine Interaktion zwischen dem Geflecht von Möglichkeiten, die erst durch die eingereichten Projekte vergegenwärtigt werden. Das heisst, dass aus dem Programm, der Juryzusammensetzung und den vorgeschlagenen Projekten erst jener Möglichkeitsraum entsteht, der die Relevanz und Legitimation von Vorschlägen bestimmen wird. Die effektiven Kriterien – nicht zwingend jene, die im Jurybericht nachzulesen sind – entstehen erst im Rahmen der beschriebenen Interaktion. Dies und nichts anderes ist der Kern des Jurierens. Nichts anderes grenzt den Kern des Wettbewerbs deutlicher von anderen Vergabeverfahren ab. Wie Jean-Pierre Chupin, Wettbewerbsforscher an der Université de Montréal, betont, gleicht Jurieren selber stark dem Prozess des Entwerfens mit seinen Sequenzen von Setzen und Verwerfen.

Ein kultivierter und vorgesehener Umgang mit Verletzungen des Programms (etwa durch die vorgesehene Möglichkeit des Ankaufs) – weil das entsprechende Team die Fragestellung zum Besseren hin gedehnt haben mag – dient als weiterer Beleg für die Argumentation. Die Beobachtung des Diskurses über Wettbewerbe zeigt aber deutlich, dass sich gerade auch die Befürworter des Wettbewerbswesens zu wenig bewusst darüber sind, was das Jurieren wirklich definiert. Ein Schub der Internationalisierung der Bau- und Planungsbranche steht gegenwärtig an, und die Schweizer Wettbewerbskultur ist nicht vorbereitet.

Das «System» Wettbewerb

Die Planungs- und Baubranche entwickeln sich auf ein integriertes Wertschöpfungsmodell und ein durchgängiges Informations- und Innovationssystem hin. Endlich! Der Wettbewerb soll diese Transformation nicht bloss überleben – er soll darin eine bedeutende Rolle spielen und seinen Kern stärken: Legitimation schaffen, übersetzen, Varianz von Lösungen herstellen und vor allem das Lernen im Jurieren-als-Entwerfen. Entsprechend wird er sich in seiner konkreten Ausgestaltung ebenso wandeln, wie sich die gesamten Zusammenarbeitsmodelle verändern werden. Thorsten Dirks roher Ausspruch «Wenn Sie einen Scheissprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiss digitalen Prozess» erinnere uns aber daran, dass es bei der Digitalisierung um einen Wandel der Wirtschaftskultur (Kollaboration, Risikoteilung, Informationsfluss etc.) geht – nicht um Technik. Nichts sollte uns daher ferner liegen, als die heutigen Formate per se digitalisieren zu wollen.

Wir wissen, dass Lernprozesse allgemein mehrheitlich auf der Ebene des Systems und nicht auf der Ebene des Individuums stattfinden. Als Beispiel sei die Sicherheit im Strassenverkehr genannt, die nicht auf bessere Fahrerkompetenzen zurückzuführen ist. Genauso im Wettbewerbswesen: Spielformen, Prozeduren, Anreize, Risikoverteilung müssen für das «System» Wettbewerb neu gedacht werden und nicht für den einzelnen Wettbewerb.

Konventionelle Projektabwicklung gemäss SIA.
Integrierte Projektabwicklung – Zukunftsmodell.

Hin zur integralen Projektabwicklung

Der heutige Wettbewerb ist Teil eines Wertschöpfungsmodells, welches in seinen Grundfesten herausgefordert wird. In der konventionellen Projektabwicklung (abgebildet etwa in den Leistungsbeschrieben des SIA) verlaufen Prozesse linear, sukzessiv und voneinander getrennt – Planung (Planer) und Ausführung (Unternehmer) liegen weit auseinander (Wasserfallprinzip) (siehe Grafik «Konventionelle Projektabwicklung gemäss SIA.»). Solche Modelle eignen sich, wenn Sicherheit über Leistungen und Lösungen vorherrscht. Sie scheitern aber, wenn Innovation durch die Verknüpfung bislang unverbundener Praktiken oder Rückkoppelungen zwischen Design und Umsetzungen das Bild prägen. Als Ergebnis herrschen Wissens- und Erfahrungssilos vor, die Innovation durch die fehlende Verknüpfung separater Wissensformen verhindern. Es führt leider auch dazu, dass Risiken erst spät im Prozess behandelt werden. So zum Beispiel die gängigen und nicht unerheblichen Stolperfallen der Kosten, der Genehmigungsfähigkeit oder der Akzeptanz.

Integrierte Projektabwicklung hingegen bedeutet, dass Prozesse parallel und in mehreren Ebenen und Planungstiefen gleichzeitig ablaufen (siehe Grafik «Integrierte Projektabwicklung – Zukunftsmodell.»). Design und Engineering, Production und Operation werden konsequent zirkulär verstanden. Wissens- und Erfahrungsbeiträge erfolgen früh im Prozess, Informationen werden offen geteilt. Auch die Zusammenarbeitskultur wandelt sich: Vertrauen und Respekt sind die Basis des Gelingens. Die Branche bewegt sich in Richtung integrierter Prozesse. Die Kernfragen lauten daher: Was leistet der Wettbewerb in einem integrierten Planungs- und Bauprozess, und wie?

Integriertes Innovationsmodell

Im konventionellen Modell dominieren die Fragen Was (Funktion, Volumina etc.) und Wie (Bau- und Konstruktionsweise etc.) alle Planungsphasen bis hin zur Ausschreibung (siehe Grafik «Kosten-Zeit-Vergleich im konventionellen Modell.»). In der Ausschreibung geht es dann primär um den Preis, was nur Sinn macht, wenn sich die Angebote qualitativ (in der Art der Lösung) kaum unterscheiden. In einer integrierten, durchgängigen, digital unterstützten und lebenszyklusbezogenen Arbeitsweise hingegen weisen Lösungen grössere konzeptionelle Unterschiede und höhere Innovationsgrade auf, sie setzen spezifische Kenntnisse voraus und können daher nicht primär über den Preis gesteuert oder selektiert werden. Daher rückt die Frage nach dem spezifischen Partner hinter die Frage des Was an die zweite Stelle. In der integrierten und digitalen Welt leitet sich das Wie also massgeblich aus dem Was und Wer ab (siehe Grafik «Kosten-Zeit-Vergleich in der integrierten, digitalen Welt.»).

Kosten-Zeit-Vergleich im konventionellen Modell.
Kosten-Zeit-Vergleich in der integrierten, digitalen Welt.

Die Fragen der Kompetenz, der Innovation und des Partners werden so zur eigentlichen Voraussetzung für das Wie. Das bedingt, dass neue Akteure – das Wer –, nicht zuletzt Unternehmer, systematisch in den Designprozess einzubeziehen sind. Dies fordert den Wettbewerb und seine Systemgrenze heraus, und es zeichnet sich eine «Umkehrung des Normalfalls» ab: Der konventionelle Projektwettbewerb steht für das Wasserfallprinzip in der Planung und somit für ein Modell, das den Herausforderungen systemisch und strukturell immer weniger gewachsen ist. Könnte eine neue, eine erweiterte Art des Gesamtleistungswettbewerbs zur natürlich vorherrschenden Form des Wettbewerbs in einer integrierten Planungswelt werden? Vieles spricht dafür. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass der Wettbewerb in Zukunft disziplinär, wertschöpfungsbezogen und branchenpolitisch eine bedeutend breitere Basis seiner Befürworter erhalten würde.

Wettbewerb, Pioniergeist und offene Standards

Was weiter wesentlich wird – das zeigt das Durcheinander im Bereich des Building Information Modeling –, ist eine klare Verständigung über Leistungen, Verbindlichkeiten und Modi. Hierbei ist nicht zwingend eine regulierende Instanz gefragt. Vielmehr wäre eine Orientierung an den etablierten Zusammenarbeitskulturen im Bereich Open Source (offene Programmierung) und Open Data (zugängliche Daten) zielführend. Diese eröffnen einer Branche die Möglichkeit, schrittweise, kollektiv und transparent zu offenen Standards zu gelangen, auf die man sich zukünftig beziehen und die man weiterentwickeln kann.

Ausweitung der Systemgrenze

Neben den strukturellen Gründen der Integration gibt es sachliche Gründe, welche die Systemgrenze des Wettbewerbs aufsprengen. Weitere gesellschaftlich relevante Dimensionen – gerade die Aufwertung eines Verständnisses von Nachhaltigkeit als Orientierung über mehrere Generationen und Lebenszyklen hinweg – müssen zukünftig mittels Wettbewerbsverfahren «übersetzt» werden können. Mit Blick auf Städtebau, Raumentwicklung, Innenentwicklung, Stadtklima, bezahlbare Gewerbe- und Wohnräume, energetische Lösungen und eine konsequente Ausrichtung aller Entscheide am Lebenszyklus auf verschiedenen Massstabsebenen greift zudem die Unterscheidung von Fachleuten und Sachverständigen zu kurz. Sie widerspiegelt das Wasserfallprinzip durch die sukzessive Abfolge statt die integrative und zirkuläre Auseinandersetzung mit ebenbürtigen Erfahrungs- und Wissensbeständen. Um auch künftig Legitimation herstellen zu können, müssen daher zusätzliche, fürs Gelingen des Projekts kritische Dimensionen früh im Wettbewerbsprozess einbezogen werden. Der Wettbewerb wird durch diese Öffnung des analytischen Brennpunkts in einem frühen Stadium gestärkt: Das holistische, ortsspezifische Denken und die Konkurrenz grundsätzlich unterschiedlicher Lösungsvarianten werden in weiteren Bereichen der Planung und Entwicklung gefördert und gestützt.

Voraussetzung für die erfolgreiche Erweiterung des thematischen Umfangs im Wettbewerb ist aber, dass im Zuge des gesamten Planungsprozesses – und insbesondere im Jurierungsprozess – ein laufender und interaktiver Einbezug von Simulationsmöglichkeiten in den Bereichen Primärenergie, Kosten (Investition und Betrieb), Nutzerverhalten (Way-Finding, Orientierung etc.) gegeben ist. Das Jurieren-als-Entwerfen und ein offener Lernprozess, der die Kriterien für die Juryentscheide erst schafft, werden so auf eine grössere Anzahl von Dimensionen ausgedehnt. Auch die Nachwuchsförderung im Rahmen von Wettbewerben ist in einem neuen Licht zu sehen – sie betrifft den Nachwuchs in sämtlichen Planungsdisziplinen und den Bereich der Jungunternehmer. Blicken wir auf vergleichbare innovationsintensive Felder, in denen intellektuelle Leistungen miteinander in den Wettbewerb treten, so haben hier in der Regel die Jungen und Innovationsfreudigen die Nase vorn – es sind eher die etablierten Unternehmen, die Gefahr laufen, den Zug zu verpassen.

Produktivitätssteigerung durch Wettbewerbe

Kennzahlen in den Bereichen Energie oder Kosten werden integriert, frühzeitig ergründet und verbindlich festgelegt. Dies reduziert Risiken und erhöht die Produktivität. Konzeptionell umfasst der konventionelle Wettbewerb die wesentlichen Zielkonflikte und bietet grundsätzlich Hand zu deren Aushandlung und zu einer lösungsorientierten Abwägung. Dies ist wie gesehen eine Basis seines Erfolgs über eine lange Zeitdauer: Der Wettbewerb schafft Legitimation! Dieser Aspekt wird im integralen Wettbewerb noch weiter gestärkt und thematisch ausgeweitet. Hier ist in Zukunft mehr noch als heute politische Arbeit (Lobbying) gefragt. Denn das holistische und integrative Wettbewerbsergebnis darf im Nachgang nicht in der Logik von Wissens- oder Regulationssilos zerpflückt und auseinanderdividiert werden. Die eigentliche Qualität von guten Wettbewerbsergebnissen ist gerade ihre integrale Lösung. Und diese muss in einer thematisch ausgeweiteten, weil integrierten Welt mehr Gewicht erhalten! Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man nicht «ein bisschen» integrativ arbeiten kann. Vielmehr steht unserer Branche ein Systemwechsel bevor. Entsprechend muss sich die erneuerte und verbreiterte Allianz der Wettbewerbsbefürworter dafür einsetzen, dass sich mithilfe von Wettbewerben Qualität und Robustheit (einschliesslich Rechtssicherheit) von Ergebnissen gewinnen und Zeit sowie Kosten einsparen lassen.

Die Branche und ihre neue Kultur

Vorgängig wurde aufgezeigt, dass der Wettbewerb im Kontext gelesen (Herkunft, Zukunft) und in seinem Wesen verstanden werden muss (Kern). Der vorliegende Text dient als Aufruf, den Wettbewerb mit demselben Pioniergeist, demselben Optimismus und demselben Streben nach Erfolg zu erneuern, wie er seinerzeit aus der Taufe gehoben worden ist. Dies gelingt aber nur, wenn wir unsere Haut aufs Spiel setzen, uns hinterfragen und den Mut haben, die Besitzstandswahrer und Bedenkenträger frontal herauszufordern. Wir Planer und Baufachleute müssen unsere Branche aus dem bewahrenden Gewerkschaftsdenken genauso herausführen wie aus der Schmuddelecke von Preis- und Honorarabsprachen. Die Erneuerung des Wettbewerbs als Treiber für eine integrierte Projektabwicklung und eine innovationsbefeuernde Arbeitsweise ist der Proof-of-Concept für uns selber. Alle sollen willkommen sein, produktiv in einer Allianz zur schrittweisen Herausbildung eines integrativen Wettbewerbs mitzuwirken. Jene, die bereit sind zur Veränderung, werden sich sehr bald von jenen absondern, die den Wandel nur proklamieren.

Dieser Artikel ist im Print-Magazin KOMPLEX 2019 erschienen. Sie können diese und weitere Ausgaben kostenlos hier bestellen.

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